Canard Saigon (German Edition)
Sandra. Sie stand wie angewurzelt da. Jede Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
„Sandra, verständige bitte Martin und Nicole. Die Tote ist tatsächlich Zamira Simaku. Sag auch allen im War Room, dass wir die Leiche positiv identifizieren konnten.“ Sandra löste sich langsam aus ihrer Erstarrung und nickte.
„Daran werde ich mich nie gewöhnen“, murmelte sie und verließ das Zelt, um zu telefonieren.
„Frau Doktor, was können Sie mir sagen?“, fragte Marc.
„Da Sie die Tote bereits identifiziert haben, werden Sie ihr Alter schon wissen“, antwortete Sarah Baldinger.
„Sie ist zwölf Jahre alt.“
Die Gerichtsmedizinerin nickte.
„Aufgrund der Totenstarre und der Leichenflecken kann ich den Todeszeitpunkt auf etwa zwei Stunden eingrenzen. Sie verstarb Samstag zwischen zwei und vier Uhr früh. Todesursache war Ersticken aufgrund einer durchschnittenen Kehle. Die weiteren Umstände sind exakt dieselben wie bei den anderen Mordfällen. In ihrer Vagina fand ich zwei Federn, nach Größe und Aussehen vermutlich vom selben Vogel wie bei den anderen Frauen. Ein wesentlicher Unterschied zu den bisherigen Todesfällen besteht allerdings. Das kleine Mädchen wurde definitiv vergewaltigt. Sie war noch Jungfrau. Das Hymen ist zerfetzt, und ihr Scheidenbereich weist am unteren Ende Risse auf, was zu Blutungen führte. Ihr Analbereich weist ebenfalls Risse auf, die zu starken Blutungen führten. Die Penetrationen waren heftig und brutal. Aufgrund des sichtbaren Blutbildes und der unterschiedlichen Verkrustung der Wunden ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine mehrmalige Penetration, sowohl anal als auch vaginal, anzunehmen. Spuren von Sperma habe ich nicht gefunden. Weitere Aussagen kann ich erst nach der Obduktion treffen.“
Marc war schlecht. Während der Schilderung der Gerichtsmedizinerin tauchten in seinem Kopf unwillkürlich Bilder auf. Bilder, wie dieses kleine Mädchen brutal vergewaltigt wurde. Er schüttelte sich und atmete tief ein.
„Frau Doktor, ich danke für Ihre Informationen“, sagte er mit belegter Stimme. „Bis wann kann ich mit dem Obduktionsbericht rechnen?“
„Ich mache mich sofort an die Arbeit. Am Nachmittag sollten Sie den Bericht haben.“
Marc verabschiedete sich von Sarah Baldinger und trat aus dem Zelt. Sandra hatte eben ihre Telefonate erledigt.
„Wir fahren jetzt in die Zentrale“, sagte Marc. Da Sandra mit Paul Valek hergekommen war, stieg sie zu Marc ins Auto. Marc schilderte ihr in knappen Worten die bisherigen Erkenntnisse der Gerichtsmedizinerin. Während der Fahrt saßen sie schweigend nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach. Der Fall beginnt, an meinem Nervenkostüm zu nagen, dachte Marc. Und wir haben nach wie vor keine ernsthafte Spur.
Wien, Sonntag, 25. April 2010, 8.10 Uhr
Marc Vanhagen hatte sich in den Konferenzraum zurückgezogen und die neuen Fakten auf die Pinnwand geschrieben. Dann hatte er sich auf einen Sessel gesetzt, und seitdem betrachtete er die Informationen an den Wänden. Er wandte den Kopf, als Martin Schilling eintrat. Draußen im War Room war der Teufel los. Christine Pinter und Emma Szinovek versuchten geduldig, die Anfragen der Medien zu beantworten, und verwiesen auf die für 16 Uhr angesetzte Pressekonferenz. Thomas Gridler koordinierte die Befragungen der möglichen Zeugen, und die beiden Computerspezialisten saßen vor ihren Computern. Sandra versuchte, das Täterprofil zu verfeinern. Martin Schilling schloss die Tür und ging geradewegs zur Pinnwand. Er nahm einen Stift zur Hand und drehte sich zu Marc.
„Nicole ist noch vor Ort und befragt Bewohner aus den Nachbarhäusern“, eröffnete er das Gespräch.
„Gut, habt ihr den Bruder erreicht?“
„Ja, haben wir. Er ist fast zusammengebrochen, als wir ihm den Tod seiner Schwester mitteilten. Die Befragung gestaltete sich schwierig, da er immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt wurde und kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Skender Simaku ist 26 Jahre alt, ledig und Fernfahrer von Beruf. Sein Vater war Angehöriger der albanischen Volksgruppe im Kosovo, seine Mutter Serbin. Beim Ausbruch der Kampfhandlungen stand die Familie zwischen den Fronten. Sein Vater wurde eines Morgens erschossen aufgefunden. Bis heute ist unklar, von welcher der beiden Kriegsparteien er ermordet wurde. Seine Mutter war damals hochschwanger. Sie flüchtete mit Skender aus dem Kosovo. Auf abenteuerlichen Wegen gelangten sie nach Graz, wo Zamira das Licht der Welt erblickte. Ein halbes Jahr
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