Canard Saigon (German Edition)
ist, berücksichtigen seine berufliche Belastung, kommen zu ihm ins Büro, und der feine Herr lässt uns warten, dachte er. Er empfand das Verhalten des Firmenbosses als grobe Missachtung. Wütend drückte er seine Zigarette aus und stapfte zurück in den War Room. Auf dem Weg zu seinem Schreibtisch, hörte er, wie Emma Szinovek telefonierte.
„Jawohl, ich verständige ihn umgehend“, sagte sie und legte den Hörer auf. „Marc, das war die Staatsanwaltschaft.“
Marc blieb stehen und drehte sich Emma zu.
„Ah ja, Frau Dr. Lessing. Wann wird sie uns mit ihrem Besuch beehren?“
„Da muss ich dich leider enttäuschen“, sagte Emma mit einem bedauernden Lächeln. „Frau Dr. Lessing hat Pflegeurlaub. Sie kann nicht abschätzen, wann sie wieder arbeiten kommt. Daher hat sie den Mordfall an Dr. Schneider delegiert. Er wird sie für die Dauer ihrer Abwesenheit vertreten.“
Marc starrte Emma ungläubig an.
„Das auch noch“, murmelte er fassungslos. Das darf doch nicht wahr sein, dachte er. Mit gesenktem Kopf ging er zu seinem Schreibtisch und ließ sich in den Sessel fallen. Schaudernd dachte er an Dr. Schneider. Der Reißgänger, wie der Staatsanwalt hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, war ein Albtraum für Marc. Zaudernd, ängstlich und überkorrekt, ein Bürokrat, wie er im Buche stand. Seine mangelnde Entschlusskraft war legendär. Marc kannte ihn schon lange. Mit diesem Menschen konnte er einfach nicht zusammenarbeiten. Marc überlegte kurz. Dann rief er Sandra Kessler zu sich und übertrug ihr die Zusammenarbeit mit dem Staatsanwalt. Sie war nicht glücklich mit dieser Aufgabe, aber sie sah ein, dass sie die einzige Person im Team war, die mit Dr. Schneider zurechtkam. Marc trug ihr auf, sämtliche Unterlagen an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln. Auch das kleinste Detail, das unwichtigste Schriftstück und die vagste Vermutung. Sie sollte den Staatsanwalt mit Arbeit eindecken. Vielleicht hatten sie dann so lange Ruhe von ihm, bis Frau Dr. Lessing wieder übernehmen konnte. Sandra grinste, als sie zu ihrem Schreibtisch zurückging, und begann, Aktenberge zusammenzustellen.
Marc war erleichtert, dass Sandra den Kontakt mit dem Reißgänger ohne Widerspruch akzeptierte. Eigentlich wäre es seine Aufgabe, und er hatte ein schlechtes Gewissen. Er nahm sich vor, für Sandra Karten für ein Musical zu besorgen. Marc wusste, dass sie Musicals liebte, und er wollte sich auf diese Weise bei ihr bedanken.
Die tägliche Teamsitzung hatte er für 11.30 Uhr anberaumt. Er stand auf und ging in den Konferenzraum, um sich vorzubereiten. Kaum hatte er begonnen, die Tagesordnungspunkte fein säuberlich auf ein Blatt Papier zu schreiben, klingelte sein Handy. Simon Hoffer rief an. Er teilte Marc mit, dass er Konrad Schliemann auf der Spur sei. Er wollte sich mit einem Informanten treffen, der wusste, wo sich der Gesuchte aufhielt. Allerdings musste er dieses Treffen auf morgen verschieben, da er im Moment unterwegs nach München war. Seine Dienststelle hatte ihm frühmorgens den Auftrag erteilt, wegen einer Terrorwarnung sofort nach Deutschland zu fahren. Reine Routine, meinte Simon. Er würde spätestens morgen wieder zur Verfügung stehen. Marc nahm die Nachricht zähneknirschend zur Kenntnis. Er fragte Simon, ob er den Informanten aufsuchen sollte. Simon verneinte, da der Mann sehr öffentlichkeitsscheu sei. Marc beendete das Gespräch und legte sein Handy vor sich auf den Tisch.
Das darf doch nicht wahr sein, dachte er. Hat sich denn heute alles gegen mich verschworen? Eine innere Unruhe erfasste ihn. Er ging im Konferenzraum auf und ab und rekapitulierte die Ereignisse der letzten Stunde. Marc fühlte sich hilflos. Heute ging alles schief. An manchen Tagen wäre es besser, gar nicht erst aufzustehen. Und heute war so ein Tag. Er fühlte sich müde und deprimiert. Am liebsten wäre er sofort nach Hause gefahren. Missgelaunt dachte er an die zu erledigenden Aufgaben. Sein Pflichtbewusstsein regte sich und er beendete seinen Marsch durch den Konferenzraum. Schwerfällig ließ er sich in seinen Sessel fallen und zwang sich, die Sitzung weiter vorzubereiten.
Wien, Montag, 19. April 2010, 11.30 Uhr
Marc Vanhagen saß auf seinem Platz im Konferenzraum, als seine Teammitglieder nach und nach eintrudelten. Mürrisch erwiderte er ihre Grüße. Kleinlaut setzten sich die Ermittler auf ihre Plätze. Sie sahen Marc auf den ersten Blick an, dass er schlecht gelaunt war. Bevor er die Sitzung offiziell eröffnete,
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