Canard Saigon (German Edition)
ausgerechnet hier drin sein muss.“ Sie verzog verächtlich die Mundwinkel nach unten und wedelte, um ihrer Missbilligung Ausdruck zu verleihen, erneut mit der Hand. „Das Labor hat die ersten Resultate. Wir können nach oben gehen und sehen, was sie herausgefunden haben.“
„Alles klar, ich rauche nur fertig, dann können wir gehen.“ Emma verbiss sich einen weiteren Kommentar.
„Ich wollte wegen der anderen Sache mit dir sprechen“, sagte sie.
„Aha, was hast du erfahren?“, fragte Marc leise, obwohl sie nur zu zweit im Raum waren.
„Der gute Mann war Abteilungsleiter im Rechnungshof. Er war nicht sehr beliebt, denn er behandelte seine Mitarbeiter zwar korrekt, aber herablassend. Eine Zeit lang munkelte man, dass er ein Verhältnis mit seiner Sekretärin habe, aber das war wohl eher üble Nachrede. Er versuchte, sich bei Vorgesetzten wichtigzumachen, blitzte aber immer wieder ab. Seine große Stunde kam, als angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe für die Abfangjäger untersucht wurden. Er war mit einem Teil der Überprüfungen befasst. Und sagen wir es mal so, bei der Gelegenheit lernte unser Herr hochrangige Parteigranden kennen. Seither zählt er zum erweiterten Bekanntenkreis eines ehemaligen Ministers. Er wurde auf Partys und Festbankette eingeladen, und obwohl sein Förderer nach der Bildung der großen Koalition aus dem Amt schied, blieb unser Mann sozusagen in Personalreserve. Das Weitere kennst du, jetzt ist er unser Boss.“ Emma hatte sehr leise gesprochen und sich immer wieder umgesehen, um sicher zu sein, dass niemand außer Marc sie hören konnte.
„Danke, Emma, du bist ein Schatz. Du hast mir sehr geholfen. Was würde ich wohl ohne dich machen?“
„Viel zu viel rauchen und das überall“, sagte Emma mit einem, diesmal aber gespielt vorwurfsvollen Ton. Sie verließen den Pausenraum, und auf dem Weg zum Labor raunte sie ihm noch zu, dass sie sich weiter in der Sache umhören würde.
Der Besuch im Labor war nicht ergiebig. Das Team hatte mit Hochdruck gearbeitet, aber keine verwertbaren Hinweise gefunden. Die spärliche Kleidung des Mädchens, ein gelber Minirock, ein kurzes weißes Top und ein transparentes schwarzes Tangahöschen waren fein säuberlich zerschnitten. Die verwertbaren Fingerabdrücke stammten alle vom Opfer, die DNA-Proben waren unterwegs nach Innsbruck. Ein Labormitarbeiter war dabei, ein Modell des Reifenabdrucks zu erstellen. Genauere Aussagen über den Reifentyp würde er am Nachmittag machen können. Marc war nicht einmal enttäuscht vom Ergebnis. Der Täter handelte mit beängstigender Präzision.
Zurück im War Room setzte sich Marc an seinen Schreibtisch. Johannes Schmied kam zu ihm und berichtete, dass die Überprüfung des Fuhrparks der Firma Meisner ergebnislos verlaufen war. Die Firma hatte ausschließlich Lastkraftwagen und Personenkraftwagen angemeldet.
„Wieder nichts“, sagte Marc enttäuscht.
Johannes zuckte mit den Achseln und zog sich an seinen Arbeitsplatz zurück.
Marc verschränkte die Hände hinter dem Kopf und streckte seine Beine aus. Vor seinem geistigen Auge ließ er die Geschehnisse des heutigen Tages Revue passieren. Ihm fielen diese amerikanischen Untersuchungen ein, die belegen, dass hochintelligente Täter viel schneller überführt würden als durchschnittlich begabte. Da können wir ja richtig hoffnungsfroh sein, dass dieser Täter so clever ist, dachte er.
Wien, Dienstag, 20. April 2010, 14.00 Uhr
Marc Vanhagen saß im Konferenzraum und bereitete die Sitzung vor. Er fühlte sich wie eine Spinne in der Mitte ihres Netzes. Dieser Fall hatte etwas Besonderes. Er hatte keinen Tatort. Marc dachte an seine bisherigen Fälle. Da hatte er seine Stärken ausspielen können. Und die lagen in der Tatortanalyse. Marc liebte Tatorte. Also lieben war der falsche Ausdruck, aber einen Tatort zu analysieren, das Verhalten des Täters zu deuten und Spuren zu lesen, das empfand er als Herausforderung. Bei der aktuellen Mordserie hockte er fast ausschließlich im Büro und sammelte Informationen. Außer dem Doktor hatte er keine Verdächtigen, die er verhören, keine Zeugen, die er befragen, und kaum Indizien, die er deuten konnte. Er fühlte sich unrund.
Als Freddy anrief, hob sich seine Stimmung augenblicklich. Sie plauderten über alltägliche Belange. Allein ihrer Stimme zu lauschen, ermunterte Marc. Ihr Frohsinn übertrug sich wohltuend auf sein Gemüt. Nach dem Gespräch atmete er tief durch. Er haderte nun nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher