Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
groß der Löwe ist! Das ist ja Wahnsinn   … Haben die auch Nilpferde? Wo sind die Nilpferde? Was ist das? Sieht aus wie eine Art Affe   … Wo ist die Tafel mit der Erklärung, was das hier ist? Früher hatten sie doch solche Tafeln   …«
    Ich hatte nicht erwartet, dass sie so aufgeregt sein würde, deshalb war ich am Anfang ein bisschen überrascht – um ehrlich zu sein, ich war sehr überrascht. Ich glaube, ich hatte gedacht, sie würde bei allem echt cool bleiben – herumspazieren, ruhig, als wenn nichts wäre, leise mit mir plaudern und ab und zu mal einen neugierigen Blick auf die Tiere werfen   …
    Ich weiß nicht, warum ich das gedacht hatte.
    Es war eine ziemlich bescheuerte Annahme. Aber trotzdem war es irgendwie seltsam, dass sie sich nicht die ganze Zeit mir widmete. Jedes Mal, wenn ich versuchte mit ihr zu reden, hörte sie eine Sekunde lang zu und schoss dann in eine andere Richtung fort, um irgendwelche Tiere anzuschauen, oder sie plapperte wieder.
    »…   ich war hier mal auf einem Schulausflug und wir mussten diese Bögen mit Fragen über Tiere ausfüllen, wo sie leben, was sie fressen und so, und jeder schrieb das Ganze einfach von den Informationstafeln |91| an den Käfigen ab   … Wo sind die Pinguine? Gibt es hier immer noch Pinguine? Was ist denn das da drüben   …?«
    Es machte mich unruhig und enttäuschte mich auch ein bisschen. Ich wollte nicht, dass sie einfach nur irgendwie Zeit mit mir zubrachte, ich wollte, dass sie diese Zeit wirklich
mit mir
verbrachte. Ich wollte, dass wir zusammen gingen, zusammen redeten, zusammen waren   … ich wollte Teil ihrer Aufregung sein, nicht bloß Zuschauer. Ich meine, auch wenn ich auf Abstand war, was ihre Erregung anging, so lag doch etwas Berauschendes darin, etwas, das mir einen merkwürdigen leichten Kick gab, als wäre doch ich es, der sie so aufgeregt machte, auch wenn ich wusste, dass das nicht der Fall war.
    Und es war auch in Ordnung so.
    Es war nicht perfekt, aber ich konnte damit leben.
    Deshalb machte ich nach einer Weile Folgendes: Ich versuchte nicht mehr, mich mit ihr zu unterhalten, sondern ging ihr einfach hinterher und beobachtete jede Bewegung von ihr. Zuerst bemühte ich mich noch, diskret zu sein – meine Blicke zu kaschieren, so zu tun, als ob ich woanders hinsah   –, aber sie schien sich meiner Aufmerksamkeit gar nicht bewusst zu sein, deshalb gab ich es schließlich auf und beobachte sie einfach ganz offen. Im Innern wusste ich, dass man das nicht tut, und mein Gewissen nörgelte auch die ganze Zeit an mir rum –
du solltest dich schämen, sie ohne ihr Wissen anzustarren, sie anzugaffen wie so ein Spanner
–, aber es half nichts. Meine Augen hatten ein Eigenleben und zappten hin und her zwischen ihrem Gesicht, ihrem Körper, ihren Beinen, ihren Brüsten   … und meine Gedanken spielten verrückt:
Wo kommt sie her? Was macht sie? Ist sie wirklich eine Prostituierte? Was heißt das? Wie alt ist sie? Sechzehn?
|92|
Siebzehn? Fünfzehn? Vierzehn? Spielt das eine Rolle   …?
    Spielte das eine Rolle?
    Ich konnte mich nicht dazu überreden, dass es egal war.
    Und ich wusste, ich musste mit ihr sprechen. Egal wie gern ich all die Fragen ignoriert und nur den Kick genossen hätte, mit ihr zusammen zu sein. Ich wusste, das reichte nicht. Ich konnte nicht den ganzen Tag damit zubringen, sie anzustarren, verdammt noch mal. Sie war ein Mensch, kein Foto in einer Zeitschrift. Sie war real.
    Wir liefen jetzt Richtung Pinguinbecken. Ich ging für mich und kämpfte mit meinen Schuldgefühlen, als ich plötzlich aufsah und Candy entdeckte, die am Ende des Wegs auf mich wartete. Sie lehnte an einem Wegweiser, rauchte eine Zigarette und betrachtete mich eindringlich. Ich hatte das Gefühl, sie wusste genau, was ich dachte.
    »Hey«, sagte sie, als ich auf sie zukam. »Es ist schön, nicht?«
    »Was?«
    »Hier im Zoo.«
    »Oh, ja   …«
    Sie rieb sich den Arm und zog ihre Ärmel runter.
    Ich sagte: »Ist dir nicht kalt ohne Mantel?«
    »Kälte macht mir nichts«, antwortete sie. »Hab heißes Blut in den Adern.«
    Ich fand, sie sah aus, als ob ihr kalt war – blass, weiß, überall Gänsehaut   –, aber ich sagte nichts.
    »Magst du einen Kaffee trinken oder so?«, fragte ich. »Da drüben gibt es ein kleines Café.«
    »Okay.«
    Sie warf ihre Zigarette auf den Boden und trat sie aus, dann |93| schlang sie ihren Arm in meinen und führte mich den Weg entlang. »Ich kauf dir den Donut, den ich dir versprochen hab«,

Weitere Kostenlose Bücher