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Candy

Candy

Titel: Candy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Brooks
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  … ja   … mit solchen Sachen kann ich dienen. Sehen wir mal   …« Sie blickte starr geradeaus, tief in Gedanken, dann begann sie zu sprechen. »Gut   … wo wohne ich? Okay   … ich wohne ungefähr zehn Minuten von King’s Cross entfernt, in einer netten kleinen Wohnung im dritten Stock eines renovierten Hauses aus viktorianischer Zeit.« Ihre Stimme klang matt und ausdruckslos, als würde sie ihre Worte von einem Blatt ablesen. »Meine Mitbewohnerin heißt Sophie. Sie ist Tänzerin in einem Nachtclub im Westend, wo wir uns auch kennen gelernt haben.« Sie hörte auf zu sprechen und sah mich an. »Wie klingt das?«
    »Was meinst du?«
    »Nichts   …« Sie lächelte. »Ich hab mich nur gefragt, was du denkst.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Sie schloss ihren Griff fester um meinen Arm. »Du musst dir doch Gedanken über mich gemacht haben   … wo ich mein Geld herkriege. Was ich
mache
…«
    »Also   … ja, schon.«
    »Und?«
    »Ich weiß nicht. Ich   … ich
weiß
nicht   …«
    Sie sagte eine Weile nichts und ich auch nicht. Wir gingen einfach |107| weiter. Ich kam inzwischen schon besser klar mit diesem Arm-in-Arm-Gehen. Langsam fing ich an, es zu genießen und zu begreifen, dass es wirklich eine ziemlich gute Art zu gehen ist, wenn einer von beiden weiß, wohin, und der andere nicht. Man braucht nichts zu fragen und auch keine Vermutungen anzustellen, wohin es geht, man muss sich nur auf den anderen einstellen, dann spürt man nach einer Weile allein durch den Körper des Partners, wohin er will.
    Wir waren jetzt wieder in der Nähe des Haupteingangs und liefen auf die kleine Unterführung zu, durch die es auf die Kanalseite des Zoos geht. Als wir hinunter in den Schatten des Tunnels kamen, fing Candy wieder an zu reden, diesmal in natürlicherem Tonfall.
    »Es ist bloß ein bisschen schwierig, über persönliche Dinge zu reden«, sagte sie. »Es hängt so viel Familienkram dran   … weißt du   … lauter kompliziertes Zeug. Verstehst du, was ich meine?«
    »Ja.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Zu Hause lief jede Menge Schrott ab   … ich hab das nicht mehr ausgehalten. Dann haben sie mich von der Schule geworfen und danach wurde alles immer schlimmer.« Ich spürte, wie ihre Schultern zuckten. »Also bin ich einfach abgehauen. Morgens aufgestanden, eine Freundin angerufen, Nachricht hinterlassen und dann hierher.«
    »Nach London?«
    »Ja   … ich kannte ein Mädchen, das eine Wohnung in Bethnal Green hatte. Da hab ich eine Weile gewohnt, dann hab ich diesen Job als Tänzerin gefunden   … und das ist es auch schon so ungefähr, ehrlich.«
    »Als Tänzerin?«
    |108| »Ja   … ich bin Tänzerin.«
    »Echt?«
    Sie blieb stehen, drehte ihren Kopf und sah mich an. »Ich tanze nur, Joe. Sonst nichts. Ich zieh mich nicht aus. Ich bin nur Tänzerin. Keine Stangen, kein Striptease, nur ein auffallendes kleines Top und einen Mikro-Minirock. Es ist nichts dabei – bei jedem Samstagmorgen-Kinderprogramm im Fernsehen siehst du mehr nackte Haut.« Sie zuckte wieder die Schultern. »Es ist einfach ein Job.«
    »Was ist mit Iggy?«
    Einen Moment spannte sich ihr Gesicht, dann löste es sich wieder. »Wie ich dir gesagt hab«, antwortete sie, »er ist nur der Freund von einem Freund   … nicht mal das, ehrlich. Er ist bloß so ein Typ, der da in der Gegend rumhängt.« Sie stieß sich an die Schläfe. »Ist ein bisschen kaputt in der Birne – zu viel Crack wahrscheinlich. Er lebt in seiner eigenen Welt. In der einen Minute hält er sich für einen Zuhälter, in der nächsten ist er ein Agent in geheimer Mission. Am besten, man lässt ihm seinen Willen.«
    »Ist es das, was du bei McDonald’s gemacht hast – du hast ihm seinen Willen gelassen?«
    Sie nickte und schaute weg. »Manchmal kann er etwas komisch werden   … Er ist ein gewaltiger Brocken – du hast ihn ja gesehen. Er
will
gar nicht gruselig sein   …«
    »Muss er auch nicht.«
    Sie lachte. »Er würde dir nichts tun.«
    »Nein?«
    »Na ja, jedenfalls nicht viel   …«
    Dann sahen wir uns an – ein langer, tiefer Blick. Candy lachte, aber ich konnte mich nicht entscheiden, was für ein Lachen es |109| war. Es schien einigermaßen echt, ein Lachen, das zu einem Witz passte, aber Witze – und gute Lügen – basieren meistens auf Wahrheit und ich entdeckte irgendeine Art Wahrheit in ihren Augen. Es war eine Wahrheit, die sie überfiel wie eine finstere Krankheit, eine Wahrheit, die zu schmerzhaft war, um drüber zu reden. Und

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