Candy
tränenverschmiert.
|156| Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Ich wusste nicht mal, was ich tun
wollte
.
Ich wollte raus auf die Straße laufen und nach Candy suchen, aber das hätte bedeutet, Gina zu verlassen … und das wollte ich nicht. Sie war meine Schwester. Sie war verstört, am Ende. Ich wollte bei ihr sein … wo ich hingehörte. Und davon abgesehen wusste ich im Innern, dass nach Candy zu suchen Zeitverschwendung war. Selbst wenn ich sie fand, wären Iggy und seine Truppe bei ihr, und was für eine Chance hatte ich denn gegen die?
Also blieb ich, wo ich war. Mein Herz schlug schwer, als ich sah, wie Gina Mike fast totdrückte mit ihrer Umarmung.
Nach einer Weile entdeckte mich Mike über ihre Schulter hinweg.
»Hey, Joe«, sagte er grinsend. »Super Abend heute – danke für die Einladung.«
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich ihn.
Er nickte. »Ich lebe.«
Gina ließ ihn los und drehte sich zu mir um. Sie weinte noch immer. Ich ging zu ihr und legte meine Arme um sie.
»Bist du okay?«, fragte ich.
»Ja …« Sie senkte die Stimme. »Gott, Joe, ich hab gedacht, die bringen ihn um.«
»Was ist passiert?«, fragte ich. »Wie hat es angefangen?«
Sie schniefte und putzte sich die Nase. »Ich weiß nicht … da war dieses Mädchen –«
»Verdammt – was machst du denn?«, unterbrach sie eine Stimme. Ich schaute mich um und sah Jason rasch auf uns zukommen. Sein Gesicht zuckte und war angespannt, die Augen glühten in einer merkwürdigen Mischung aus Wut und Aufregung. Er |157| kam rüber und packte mich am Arm. »Komm endlich«, sagte er und zog mich Richtung Backstageraum. »Sie wollen dich sprechen.«
»Wer?«, fragte ich und schüttelte seine Hand ab.
»Die Typen von der Plattenfirma …« Sein Gesicht hellte sich auf. »Sie sind richtig heiß, Joe. Sie wollen mit uns reden … mit uns
allen
. Jetzt komm endlich.«
»Ich kann nicht.«
»Was soll das heißen, du
kannst
nicht? Das ist
die
Chance.«
»Ich muss mit meiner Schwester reden.«
»Mit deiner
Schwester
?« Er kniff das Gesicht zusammen vor Abscheu. »Zum Teufel mit deiner Schwester. Es ist wichtig!«
»Das hier auch.«
Sein Blick war rasend vor Ungläubigkeit und für einen Moment dachte ich, er würde mich schlagen. Ich weiß, dass ich
ihn
gern geschlagen hätte, und wenn Gina nicht dazugekommen wäre und mir ihre Hand auf den Arm gelegt hätte, hätte ich es wohl auch getan.
»Schon in Ordnung, Joe«, sagte sie ruhig. »Ist sowieso besser, wenn ich erst mal Mike nach Hause bringe. Wir können dann später reden über alles, was passiert ist … Geh nur und triff deine Leute von der Plattenfirma.«
Ich sah sie an … blass und ruhig.
Ich sah Jason an … der ein Lächeln herausquetschte und versuchte, seine Wut, seine Verachtung, seine Ungeduld unter Kontrolle zu halten.
Es war keine schwere Entscheidung.
»Ihr werdet wohl ohne mich auskommen müssen«, erklärte ich Jason.
|158| Sein Lächeln wankte. »Nein, du verstehst nicht, sie wollen
dich
sprechen.«
»Sag ihnen, es ist was dazwischengekommen.«
»Verdammt, Beck«, zischte er. »Was ist los mit dir? Du kannst nicht einfach abhauen, wann immer dir danach ist.«
»Pass auf«, sagte ich, »es tut mir wirklich Leid, okay? Aber ich
muss
mit meiner Schwester nach Hause.«
»Warum?«
»Ich muss eben, das ist alles.« Ich wandte mich zu Gina um. »Komm, lass uns gehen.«
»Bist du sicher?«, sagte sie verwirrt. »Ich meine, es ist keine große Sache.«
»Doch, ist es«, versicherte ich ihr.
Sie sah mich an, den Blick voller Fragen. »Geht es um –«
»Nicht jetzt«, sagte ich.
Sie nickte nachdenklich, nahm Mikes Arm und machte sich auf den Weg zur Tür.
Ich drehte mich noch mal zu Jason um. »Es tut mir Leid«, sagte ich. »Ich erklär euch das Ganze ein andermal.«
»Ja?«, erwiderte er pampig. »Und wer sagt dir, dass es ein
andermal
gibt?«
Ich zögerte, wollte etwas antworten, doch dann entschied ich mich dagegen. Ich hatte keine Lust.
Ich wandte mich um und ging.
Es regnete auf dem Weg nach Hause, einen feinen Regen, der die Luft neblig machte und die Nacht mit Kaleidoskop-Farben tränkte. Während Mike den Wagen durch die glitzernden Straßen der Stadt und schließlich auf die Autobahn steuerte, starrte ich |159| durch das Gewimmel von berstenden Farben, die durch die Dunkelheit stoben – Scheinwerfer, Straßenlichter, öde Leuchtreklamen … alle verschwommen und einsam im Regen.
Verschwommen und
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