Candy
wir sollten was anderes bringen.
»Und was?«, fragte Chris. »Wir haben nichts anderes.«
»Doch, haben wir«, sagte Jason und sah mich an. »Joes Song … der, an dem wir neulich gearbeitet haben …
Candy
.«
Chris schüttelte den Kopf. »Nein, der ist noch nicht fertig … wir haben ihn erst ein paarmal gespielt.«
»Er ist perfekt«, sagte Jason. »Er wird sie platt machen … und es ist unser eigener Song.« Er sah mich wieder an. »Was meinst du?«
»Ich weiß nicht, denk schon …«
Er sah Ronny an. »Einverstanden?«
Ronny nickte.
Chris sagte: »Ich bin nicht sicher, Jase. Lass uns lieber bei dem bleiben, was wir können …«
Aber Jason hatte seinen Entschluss gefasst. Er sagte zu mir: »Gib Chris den Bass, du übernimmst den Gitarrenpart – okay?«
»Ja … ist in Ordnung. Was ist mit dem Text? Hast du ihn im Kopf?«
Er grinste mich an. »Muss ich nicht. Es ist dein Song – du singst ihn.« Und damit ging er zurück ans Mikrofon, entschuldigte sich für die Verzögerung und kündigte den Song an.
Chris warf mir in der Zwischenzeit einen bitterbösen Blick zu. Ich ärgerte mich nicht darüber. Es war der letzte Song eines großartigen Sets, er wollte den Auftritt mit dem abschließen, was er am besten konnte: Gitarre spielen. Und jetzt stahl ich ihm den großen Schlussapplaus. Wenn ich er gewesen wäre, ich weiß, ich hätte auch sauer reagiert. Aber Jason hatte Recht –
Candy
war ein großartiger Song für den Schluss. Und es
war
einer von uns. Und ich spielte den Gitarrenpart besser als Chris. Nicht weil ich besser war |148| als er, denn das war ich nicht. Chris war ein Genie, er konnte alles spielen. Aber
Candy
war ein ganz einfacher Song, er brauchte einen wirklich einfachen Sound und Chris war viel zu
gut
, um einfach zu sein.
Candy
war ein Blues-Song – er bestand aus Leerräumen. Und im Gegensatz zu mir konnte Chris diese Räume nicht in Ruhe lassen.
»Tut mir Leid«, begann ich.
»Ist schon okay«, sagte er, hob sich die Gitarre über den Kopf und reichte sie rüber. Er wirkte immer noch nicht allzu glücklich, aber auch nicht allzu beleidigt. Ich glaube, er wusste, dass es das Richtige war.
Mit einem leichten Kopfnicken sagte er: »Sehen wir zu, dass wir’s gut hinkriegen.«
Ich nickte zurück, gab ihm meinen Bass und dann gingen wir beide wieder nach vorn auf der Bühne.
Jason stellte mich vor, dann trat er beiseite und überließ mir das Mikrofon. Als ich es ausrichtete und ein paar Akkorde auf der Gitarre anschlug, fühlte ich mich total seltsam. Ich hatte noch nie zuvor auf der Bühne gesungen, noch nie ganz vorne gestanden. Es waren noch nie so viele Menschen da gewesen, die mich ansahen. Und ich wusste nicht, was ich empfand. Angst mischte sich mit einer wundersamen Entdeckung, einem Gefühl von:
Das ist es, Joe, das ist dein Moment, dein großer Auftritt, genau hier, genau jetzt.
Ich wusste aber, ich durfte nicht drüber nachdenken. Wenn ich anfing nachzudenken, würde ich auf der Stelle zu Eis gefrieren. Also fing ich einfach an zu spielen. Leise zuerst, die Akkorde nur zart anschlagend, um das Gefühl und den Rhythmus zu finden … dann baute ich langsam auf und spielte mit wachsender Selbstsicherheit … und die Harmonien schallten laut in den Raum, langsam |149| und spitz und kantig. Und dann kam der Bass dazu und machte den Sound fetter, und das Schlagzeug, und Jasons Gitarre fing im Hintergrund an zu klagen und ich hörte die Melodie im Kopf, gesungen auf die bestmögliche Art, und ich hob den Kopf ans Mikrofon …
Und genau da sah ich Candy.
Sie stand ganz vorn, genau wie sie gesagt hatte. Nur ein paar Meter von mir entfernt, und schaute hinauf, die Augen auf mich gerichtet, ihr Gesicht ein Bild purer Freude. Sie war umwerfend angezogen mit hautengen Jeans und einem kurzen schwarzen T-Shirt , hatte Lederbänder um die Arme gewickelt, die Haare hochgegelt, die Augen schwarz umrandet. Sie sah fantastisch aus.
Einen Moment stockte mir die Luft in der Kehle, dann rauschte ein Energieschub durch mich hindurch und ich öffnete den Mund und fing an zu singen:
The girl at the station,
the girl with the smile,
the moment’s sensation,
to stay for a while …
Einfache Worte zu einem einfachen Song. Und irgendwie war es mir gar nicht peinlich, sie zu singen. Das hätte es wohl sein sollen, wenn das Mädchen, um das es ging, direkt vor mir stand. Aber aus irgendeinem seltsamen Grund war es mir einfach nicht peinlich.
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