Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
wieder fortgerissen von einer hartnäckigen Nebelwolke. Als es schließlich endgültig zum Vorschein kam, hatte es gleich eine ganze Kupferkuppel und einen Glockenturm dabei und gab sich als Madonna di San Biagio zu erkennen – die Kirche auf dem Foto in Daniels Schuh.
Damit schien der Nebel ganz zu verschwinden, und Lily sah plötzlich alles sehr klar. Sie war aus einem bestimmten Grund an diesem Ort und hatte keine Zeit für ehrfürchtiges Staunen.
Mit nun versteinertem Gesicht wandte sie sich ab und ließ sich von Violetta das Bad mit der winzigen Duschkabine und der Toilette in Kindergröße zeigen und ohne ein einziges Schränkchen, in dem sie ihre Sachen verstauen konnte.
Das Zimmer war nicht das, was Lily sich ausgesucht hätte, aber es war tadellos sauber und trocken, und sie war nass und erschöpft.
»Wissen Sie was? Ich denke, ich nehme es«, sagte sie zu Violetta. »Zumindest für ein paar Nächte. Ist das okay?«
»Sì, sì, okee, okee«, erwiderte die alte Frau und tätschelte die Decke auf dem Bett.
Lilys Glieder sehnten sich danach, sich auszustrecken. Wenn sie sich nur ein paar Stunden ausruhen konnte, oder auch nur ein paar Minuten, würde sie bestimmt wieder klarer denken können.
Sie nahm fünfhundert Euro aus ihrem Portmonee und war überrascht, dass Violetta sich das ganze Geld schnappte, aber Lily war zu schlapp, um die Verständigung fortzuführen. Stattdessen hielt sie den Finger an die Lippen, was, wie sie hoffte, die internationale Sprache war für »Das hier soll unser kleines Geheimnis bleiben«, und wartete, bis die alte Frau die Geste erwiderte, bevor sie wieder eine lange Litanei von unverständlichen Wörtern abspulte und sich mit einer wegwerfenden Handbewegung verabschiedete.
Kaum war sie weg, schlüpfte Lily aus ihren Schuhen, schälte sich aus den nassen Kleidern, legte sich ins Bett und glitt sofort in wohliges Vergessen.
13
Die Witwen waren keine fröhliche Runde, als Violetta zu ihnen in den Keller humpelte.
»Ihr irrt euch«, schrie die eine Gruppe die andere an.
»Nein, ihr irrt euch«, schrie die andere Gruppe zurück.
»Ihr irrt euch beide«, gesellte sich ein dritter Splitter in das Gefecht.
In der Annahme, dass sie über Lily und Alessandro stritten, biss Violetta sich auf die Zunge und trippelte hinüber zu ihrer Schwester, die bei den Ingwerplätzchen stand und sich ein Glas Vin Santo hinter die Binde kippte.
»Was ist los?«, flüsterte Violetta.
»Fiorella hat eine Torta della nonna mitgebracht,« erklärte Luciana und deutete auf den Tisch, auf dem nur noch ein paar Krümel auf einem zerknitterten Papieruntersetzer übrig waren.
»Sie hat was getan?«
»Sie hat eine Torta della nonna mitgebracht, die sehr köstlich war. Aber darüber ist eine Art Debatte ausgebrochen«, antwortete Luciana.
»Man nimmt immer ganze Eier für den Teig«, schrie eine wütende Stimme.
»Nein, man nimmt nur das Eigelb!«
»Und geriebene Orangenschale.«
»Nein, Vanilleschoten.«
»Nein, einen Esslöffel Olivenöl.«
»Es ist sowieso nicht der Teig, der eine gute Torta della nonna ausmacht, sondern die Füllung!«
»Ricotta«, ertönte ein Chor.
»Kein Ricotta«, widersprach ein anderer.
Violetta stellte sich in die Mitte der hitzigen Diskussion und brachte die gesamte Meute zum Schweigen mit einem einzigen Blick, der schließlich auf Fiorella hängen blieb, die fröhlich auf einem Stuhl saß, den Ausschnitt voller Teigkrümel.
»Wir haben keine Tortas della nonna bei den Versammlungen der geheimen Liga der verwitweten Stopferinnen«, sagte Violetta kühl zu ihr. »Wir haben Cantucci.«
»Oh, wirklich?«, schnaubte Fiorella. »Sagt wer?«
»Sage ich«, antwortete Violetta.
Die Witwe Mazzetti hielt das Regelbuch hoch und schüttelte es, obwohl es sie fast umgebracht hatte, nicht ein oder zwei Stück von dieser köstlich aussehenden Torta zu probieren.
»Sagen die Regeln«, fügte Violetta hinzu.
Fiorella war keine Frau, die an weibliche Gesellschaft beziehungsweise überhaupt an Gesellschaft gewöhnt war, und sie bekam langsam den Eindruck, dass sie nicht besonders gut darin war. »Gut. Schön. Wie ihr meint.« Sie zuckte mit den Achseln. »Das waren nur Dolci. Ich dachte, einigen von uns könnte es nicht schaden, ein bisschen versüßt zu werden.«
»Schwamm drüber. Sollen wir wirklich dieser eingebildeten amerikanischen Eisprinzessin unter die Arme greifen?«, fragte die Witwe Ercolani, die zum Kern der Sache kam. Sie litt an einer Magenverstimmung,
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