Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
nur verächtlich schnaubte und an die Decke deutete. Diese war blassgelb oder nikotinfarben, und auch hier hing ein unpassender Kronleuchter.
»Ja, sehr hübsch, aber trotzdem«, sagte Lily und griff nach ihrem Gepäck. Doch die kleine alte Dame klammerte sich daran fest und schüttelte mit einem stählernen Funkeln in den kleinen schwarzen Augen den Kopf, bevor sie eine weitere Tür öffnete, die Lily für eine Schranktür gehalten hatte, und darin verschwand.
»Oh, Grundgütiger«, murrte Lily, folgte ihr jedoch ansonsten widerspruchslos. Es handelte sich nicht um einen Schrank, sondern um einen schmalen Treppenaufgang, der zu einem weiteren Zimmer führte, unendlich größer und heller als das untere, mit einem Doppelbett, einem größeren Kronleuchter, einem riesigen Fernseher und demselben sonderbar würzig-süßen Geruch.
Das Bett wirkte so einladend, dass Lily nur noch den Wunsch hatte, in die luftigen Daunen zu sinken und wegzudriften in wunderbares Nichts.
Die Decke in diesem Raum war mit einem Fresko zwischen den verwitterten Balken bemalt, ein blasses blau-gelbes zartes Blumenmuster mit malvenfarbenen und grünen Schnörkeln an den Enden. Es erinnerte Lily an etwas. Sie wusste nicht genau, an was, aber sie verband damit etwas Gutes.
Die alte Italienerin stand mitten im Raum und brabbelte wirr vor sich hin. Aber während Lily sich umblickte und überlegte, ob sie bleiben sollte, wurde ihr bewusst, dass es kein wirres Gebrabbel war, sondern eine Wiederholung immer derselben Wörter.
»Mi chiamo Violetta«, sagte die alte Frau. »Mi chiamo Violetta.« Sie klopfte auf ihren eingefallenen Brustkorb, wo früher ihre Brüste waren (die nun fröhlich herunterbaumelten, eine davon deutlich tiefer als die andere). »Violetta«, wiederholte sie erneut. »Capito? Violetta. Violetta.«
»Oh, klar!«, sagte Lily, als ihr dämmerte, dass die Frau ihren Namen nannte. Sie antwortete mit einer albernen kleinen Verbeugung, die wahrscheinlich nicht Brauch war in Italien, außer man begegnete dem Papst. »Violetta«, wiederholte sie. »Freut mich sehr. Ich bin Lily. Mi chiamo Lily? Ist das so richtig?«
Violetta zog die spärlichen Brauenbüschel hoch. »Li-li«, probierte sie das Wort aus und zuckte mit den Schultern. »Li-li. Okee.« Dann humpelte sie zu dem ausgeblichenen Blümchenvorhang hinter Lily und riss ihn auf, worauf ein großes Fenster zum Vorschein kam mit Panoramablick auf das Tal, das sich am Fuße des Hügels erstreckte, auf dem die Stadt thronte.
Lily machte einen Schritt vorwärts.
In der Zeit, während sie im Haus war, hatte der Regen aufgehört, und obwohl einzelne Flecken der Hügellandschaft immer noch im Nebel verschwanden, der sich gierig um zusammengedrängte Baumgruppen scharte, wurde so viel von dem fremden Panorama vor ihren Augen sichtbar, dass es ihr den Atem verschlug.
»O là là!«, sagte sie und ging näher ans Fenster, während die drückende Blase, der Hunger und die Nervosität in den Hintergrund traten.
Die Aussicht war fantastisch. Plötzlich konnte Lily sich die ausgedehnten Mahlzeiten und die athletischen jungen Männer gut vorstellen.
Während sie die Aussicht bewunderte, hob sich der triste Nebel zunehmend und enthüllte einen gewellten Teppich aus unterschiedlichen leuchtenden Grüntönen, der sich von Montevedova bis zum Horizont erstreckte. Zypressen schlängelten sich über Hänge in der Ferne, akkurate Reihen von Olivenbäumen kreuzten smaragdgrüne Felder im Zickzack, Weinreben marschierten sanfte Hügel auf und ab. Winzige Häuser in dunklem Orange tauchten auf, eingezwängt zwischen kleinen Explosionen aus Blattwerk.
Eine Taube – nicht so ein hässliches Exemplar wie zu Hause – schwebte anmutig über das Terracottadach direkt unter dem Fenster und zog Lilys Aufmerksamkeit auf sich, bevor sie weiterflog zur nächsten kleinen Hügelstadt und in der Ferne über einen aufsässigen Nebelschleier dahinglitt wie ein geköpfter Kardinalshut.
»Es ist wunderschön«, flüsterte sie. »Einfach wunderschön.«
»Sì, molto bello«, stimmte Violetta zu, ohne große Gefühlsregung. »Molto bello.«
»Molto bello«, wiederholte Lily und öffnete das Fenster, um sich hinauszubeugen. Wie hatte sich diese fantastische Aussicht, diese außergewöhnliche Landschaft hinter dem ganzen Regen und trübem Morast verbergen können, während sie auf dem Weg hierher gewesen war?
Tief unter ihr, zu ihrer Linken, versuchte etwas Großes und Rundes aufzutauchen, wurde aber immer
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