Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
Veuve Clicquot.
Dieser Salon hier machte nicht den Eindruck, als würden dort Häppchen und Champagner serviert, aber ihr Haaransatz musste dringend gemacht werden – Lily wollte ihren Standard nicht vernachlässigen nur wegen ihres momentanen Dilemmas –, also betrat sie den Laden und erklärte der ungepflegten Frau hinter der Theke ihren Wunsch. Die Frau sprach kein Englisch, schien Lily aber trotzdem zu verstehen und deutete auf ihren eigenen Scheitel und schließlich auf das Bild einer schönen Blondine mit perfekten Strähnchen.
»Sì, sì.« Lily lächelte und wurde aufgefordert, Platz zu nehmen. Die schäbige Frau rief etwas auf Italienisch ins Hinterzimmer, wer auch immer sich dort aufhielt, und sagte »Un momento« zu Lily, bevor sie zur Vordertür hinausschlurfte.
Ein Duftöl in der Ecke verströmte ein angenehmes, grasiges Aroma, und sanfte klassische Musik spielte in genau der richtigen Lautstärke. Lily begann, sich zu entspannen, während sie in einer italienischen Modezeitschrift blätterte, als die Friseurin durch den Vorhang hinter der Empfangstheke kam, ein Tablett mit Haarfärbemittel und Pinseln in den Händen.
Lily rutschte so tief in ihren Sessel, wie sie konnte.
»Buon giorno«, sagte die Friseurin mit matter Stimme und blickte Lily im Spiegel an.
Hol mich sofort, flehte Lily stumm zu dem Dämon, welcher auch immer dafür verantwortlich war, dass sie dermaßen hart bestraft wurde. Hol mich sofort.
Die Friseurin hatte die schmalen Lippen, das misstrauische Lächeln, die gleiche lange Mähne, aber ohne den Schwung. Wie konnte Lily nur so dämlich sein? Nicht Carlotta war die Frau auf dem Foto, sondern diese hier. Schwestern!
Sie war kurviger als Carlotta, die Friseurin, ihre Hüften wölbten sich deutlich und dehnten die unteren Knopflöcher in ihrem Kleid, und ihre gefährliche Ausstrahlung, wenn sie auch im Moment nicht so sichtbar war wie auf dem Foto, schien trotzdem nicht weit entfernt zu sein.
»Mi chiamo Eugenia«, sagte sie mit müder Stimme. »Mein Name ist Eugenia. Sie möchten den Ansatz gefärbt haben, no ? Nicht schneiden? Vielleicht die Spitzen ein wenig?«
Sie hielt Lilys Haare zur Seite und machte eine schneidende Geste.
Lily, der berühmten Problemlöserin, wollte beim besten Willen keine Lösung dafür einfallen.
Wenn Eugenia wusste, wer sie war, war Lily in einer sehr verwundbaren Position. Die Frau konnte ihr mit ein paar extra Tropfen Säure in dem Bleichmittel die Kopfhaut verätzen oder die Schere nehmen und ihr einen Irokesenschnitt verpassen.
Wenn Eugenia nicht wusste, wer sie war, konnte Lily einfach aufstehen und gehen, was zwar ein bisschen Theater geben konnte, aber trotzdem war das immer noch die bessere Alternative. Aber gerade als Lily von ihrem Stuhl aufstehen wollte, spürte sie das kalte Prickeln der Blondiermischung auf ihrer Kopfhaut.
»Alles okay?«, fragte Eugenia verwirrt, die Plastikschüssel mit der Blondiercreme in der Hand.
Lily wartete, aber bis auf das kalte Prickeln passierte nichts Schlimmeres. Sie nahm steif wieder Platz auf ihrem Stuhl. Ihre Haare waren für den Moment sicher, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als sitzen zu bleiben und im Spiegel Eugenia zu beobachten, die langsam und systematisch ihren Ansatz behandelte. Eugenia (wahrlich kein heißer Verführerinnenname) war nicht die Sirene, die Lily sich vorgestellt hatte. Sie trug wenig oder kein Make-up, ihr Rocksaum war an einer Seite ausgefranst, ihre Pumps waren abgelatscht, und sie kaute nervös an der Unterlippe, während sie das Blondiermittel auf Lilys dicke Haare strich und ordentlich verteilte.
Als sie ungefähr die Hälfte hatte, klingelte ihr Handy. Sie zog es hektisch aus ihrem Kleid, sagte »Scusi« und eilte ins Hinterzimmer. Lily spitzte die Ohren, um das Gespräch zu belauschen, aber es war zu schnell beendet. Eugenia kehrte gleich darauf zurück und sah noch mitgenommener aus als vorher.
Sie machte überhaupt nicht den Eindruck einer glücklichen, selbstbewussten Ehemanndiebin. Sie sah aus wie ein Wrack.
Sie fuhr fort, Lilys Haaransatz zu behandeln, als diese bemerkte, dass Eugenias Hände zitterten.
»Alles okay?«, fragte Lily vorsichtig.
Eugenia nickte heftig.
»Alles gut«, antwortete sie. »Wirklich, alles gut.«
Aber sie machte nicht den Eindruck, als wäre alles gut. Tatsächlich schien sie sich aufzulösen vor Lilys Augen. »Wirklich, ist nichts«, bekräftigte sie und pinselte mehr Blondiercreme auf. »Ist nichts, rein gar nichts«,
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