Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
nichts anderes tun, als entschuldigend »Wiedersehen« zu murmeln und zu flüchten, während die arme Eugenia zusammengekauert vor dem Spiegel zurückblieb, mit schaukelndem Oberkörper, und ein Kleenex durchkaute.
27
» Kannst du mir verraten, was los ist?«, fragte Luciana, nachdem Lily die Küche verlassen hatte. » Du siehst aus, als wärst du von einem Pferdewagen überrollt worden. Was hat sie gesagt?«
Violetta ließ sich auf einen Stuhl sinken. Ihr schwirrte der Kopf. »Was sollte das? Warum hast du sie den Teig machen lassen für unsere Cantucci? Glaubst du, jeder Dahergelaufene kann unsere Cantucci machen?«, fragte sie.
Luciana zog die spärlichen Brauenbüschel hoch. »Du hast gut reden. Und was sollte das, sie die › Santamerdas ‹ aufheben zu lassen?«
»Weißt du, Luciana, ich habe es allmählich satt, dass du alles hinterfragst, was ich mache!«
»Nun, ich habe es auch gründlich satt. Wenn du meine Fragen beantworten würdest, dann wären wir vielleicht beide zufrieden!«
»Du kannst nicht einfach eine fremde Person in unsere Küche lassen und unsere Cantucci backen lassen. So funktioniert das nicht.«
»Ganz im Gegenteil, das funktioniert sogar bestens! Hast du gesehen, wie sie den Teig geknetet hat? Sie ist ein Naturtalent. So schöne, kräftige, junge Hände. Sieh dir diese glatten, geraden Teigrollen an, Violetta. Die waren in null Komma nichts fertig, obwohl sie in Gedanken ganz woanders war. Wovor zum Henker hast du eigentlich Angst?«
»Ich habe Angst, dass das bisschen, was wir noch haben, den Bach runtergeht und uns mitreißt«, antwortete Violetta, aber das war nicht die Wahrheit.
»Ich weiß, mein Gedächtnis lässt allmählich nach, aber ich bin mir sicher, dass du früher lustiger warst«, erwiderte Luciana.
»Und du warst früher über einsachtzig groß!«, konterte ihre Schwester scharf.
»Nun, wenn ich noch so groß wäre, würde ich dich jetzt packen und aus dem Fenster schmeißen.«
»Und ich würde den Hügel hinunterrollen und erst an der Küste zum Stehen kommen. Dort eröffne ich dann eine neue Pasticceria und mache dir Konkurrenz und zertrete dich wie eine kleine Küchenschabe.«
»Eine kleine, über einsachtzig große Küchenschabe. Viel Erfolg!«
Sie zankten sich noch ein paar Stunden weiter in dieser Art, während sie Lilys Teig backten und mürrisch neuen machten mit nicht einmal annähernd der gleichen Geschwindigkeit oder Geschicklichkeit.
Dann tauchte der Kopf der Witwe Ciacci am Fenster auf.
»Es gibt etwas zu berichten«, zwitscherte sie. »Nur eine kleine Neuigkeit, darum ist keine Versammlung notwendig.«
»Spuck schon aus«, brummte Violetta.
»Haben wir wieder die Cantucci anbrennen lassen, hm?«, sagte die Witwe Ciacci fröhlich. »Ganz ehrlich, von uns hat keine mehr Backenzähne, also könntet ihr es doch mal mit Marshmallows versuchen.«
»Ich sagte, spuck schon aus!«
»Also gut, ich war gerade auf der Bank, um … oooh!« Sie verschwand aus dem Fenster. »Allora! Nicht schon wieder«, hörten sie sie unten in der Gasse schimpfen. Ihr Stuhl hatte schon bessere Tage gesehen, so viel war sicher.
Luciana steckte den Kopf durch das Fenster, aber ihr Nacken war zu steif, um nach unten zu schauen.
»Alles okay«, rief die Witwe Ciacci hoch und tauchte schließlich wieder auf. »Das geschieht mir recht, weil ich Mehl und Wasser benutzt habe, statt Leim im Alimentare zu holen. Egal, wie gesagt, ich musste zur Bank, um Geld abzuheben, weil ich beim Mensch-ärgere-dich-nicht dreizehn Euro an meine Schwägerin verloren habe. Die ist richtig abgezockt, die könnte ein Vermögen machen in den Seitenstraßen von Palermo, kann ich euch sagen. Wie dem auch sei, als sie zu mir kam, um das Geld abzuholen – das erste Mal, dass sie irgendwo pünktlich erschien, soweit ich weiß –, hat sie mir erzählt, dass sie sich gerade aus dem Salon auf der Via Ricci geschlichen hat, wo sie arbeitet. Anscheinend ist vorhin eine ›hübsche blonde Amerikanerin‹ hereingekommen, wahrscheinlich die Amore von unserem Calzino, um sich ihren Haaransatz färben zu lassen. Stellt euch das vor! Ihren Haaransatz! Wisst ihr, was das bedeutet?«
»Der Salon auf der Via Ricci?«, fragte Violetta.
»Dass sie nicht naturblond ist!«, krähte die Witwe Ciacci.
»Ich glaube nicht, dass es echte Naturblonde gibt«, sagte Luciana.
»Hast du gesagt der Salon auf der Via Ricci?«, fragte Violetta wieder.
»Ja, ja, der auf der Via Ricci.«
Violetta wandte sich an ihre Schwester.
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