Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
verschiedene Produkte, und die werden alle codiert, in Container verpackt und anschließend verschifft.«
» Aber was ist da drin?«, ließ Francesca nicht locker.
» Ein Einzelprodukt«, erklärte Lily. » Ein Einzelprodukt nennen wir auf Englisch eine Einheit. Würden wir Löffel herstellen wie den, den du in der Hand hältst, würden wir in einem Meeting nicht ›Löffel‹ dazu sagen, sondern Einheit.«
» Allora, Englisch ist kompliziert«, sagte die Kleine. » Ich verstehe immer noch nicht. Capito, Mario? Non ho capito.«
» Ich glaube, sie will wissen, warum Sie nicht einfach ›Löffel‹ dazu sagen«, erklärte Mario.
» Ich habe es nicht besonders gut erklärt, nicht wahr? Wir stellen keine Löffel her, darum habe ich dich verwirrt.«
» Aber was stellt ihr her? Das meinte ich«, sagte Francesca.
» Nun, wir stellen viele Dinge her, aber hauptsächlich vorgemischte beziehungsweise vorgefertigte Nahrungsmittel«, erklärte Lily, die den Glauben an ihre Heigelmann-Persönlichkeit verlor, was sich als nicht besonders hilfreich erwies in der gegenwärtigen Gesellschaft.
Francesca starrte sie einen Moment lang an, dann drehte sie sich zu Mario.
» Spricht sie eine andere Sprache?«
Er schüttelte den Kopf. » Ich glaube nicht, aber ich verstehe auch nicht, was sie meint«, antwortete er. » Was ist ein Nahrungsmittel?«
» Ich nehme an, es ist doch eine andere Sprache«, sagte Lily. » Ein Nahrungsmittel ist etwas, das man essen kann.«
» Oh! Und was ist vorgemischt?«, fragte Francesca.
» Vorgemischt heißt, dass wir die meiste Arbeit in der Fabrik erledigen, sodass man das Produkt zu Hause nur noch aus der Verpackung nehmen und erhitzen muss. Wenn man zum Beispiel einen Kuchen backen will, muss man vorher nicht erst die ganzen verschiedenen Zutaten kaufen wie Mehl und Zucker und…« Sie musste an die penible Quälerei denken, die Violetta auf sich nahm, um ihre Cantucci zu machen, und fragte sich, ob Backmischungen in Italien vielleicht noch nicht eingeführt waren.
» Oder man kauft fertigen Biscotti- oder Cantucci -Teig, eingefroren in der Dose. Den muss man dann nur noch in Streifen schneiden und aufbacken, und schon hat man seine Cantucci.«
» Du machst Cantucci in Amerika?«, fragte Francesca, die endlich etwas verstanden hatte. » So wie in Violettas Laden?«
» Ich mache keine Cantucci in Violettas Laden, Herzchen, ich wohne dort nur. Außerdem nennt man das bei uns zu Hause Cookies, und die gibt es in allen möglichen Geschmacksrichtungen wie Chocolate Chip oder Erdnussbutter oder Lemon Cranberry– die ist übrigens neu. Aber ich mache sie ganz sicher nicht selber.«
» Aber das ist deine Arbeit!«
» Nein, nein, nein, meine Arbeit ist im Büro. Ich organisiere und plane Dinge und sitze in Meetings. Das klingt wahrscheinlich nicht besonders spannend für ein kleines Mädchen wie dich.«
» Aber ich möchte gerne die Cookies mit dir backen, Lillian. Das wäre toll! Können wir das machen? In der Küche von den Ferretti-Schwestern? Ja?«
Lily lachte. » Nein, Herzchen, ich habe keine Backmischung für Cookies dabei, und selbst wenn…«
Sie spürte, dass die kleine Tür in ihrem Kopf aufschwang und wieder zu. Was war dahinter?
» Aber bevor es dieses vorgemischte Produkt gab mit den Einheiten, haben Sie zum Backen doch natürliche Zutaten verwendet, no?«, fragte Mario. » Mehl, Zucker – Sie wissen schon, das ganze altmodische Zeug?« Er klang ein bisschen mürrisch, dachte Lily, was wahrscheinlich nicht verwunderlich war, schließlich war hier alles fatto a mano. Aber zu Hause, nun, das war der Weg, den die Welt ging, angeschoben von Heigelmann bei jedem einzelnen Schritt. Backmischungen waren billiger und sparten Zeit, und die Statistik sagte Lily, sagte jedem, dass nichts billiger war und zeitsparend toppen konnte.
Francesca stand jetzt neben Lily, und ihre Feenflügel zitterten leicht, als sie anfing, an Lilys Ellenbogen zu betteln. » Bitte, bitte, bitte, Lillian Watson, können wir zusammen amerikanische Cookies backen?«
» Ich weiß nicht, wie das geht«, antwortete sie. » Ich weiß einfach nicht, wie.«
» Hast du nie Kekse gebacken, als du so klein warst wie ich?«, fragte Francesca.
Lily blickte in das kleine Gesicht, das nun zu ihr hochgewandt war, und sah, dass es zwar Daniels Züge trug, aber auch Lilys eigene Mädchensehnsüchte: nach Liebe, nach Aufmerksamkeit, nach Normalität.
Francescas Mutter schloss sich im Haus ein, schluckte Tabletten und weinte
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