Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
Hilfe.«
»Ich bin sehr wohl genug!«, widersprach Violetta zornig, aber als sie Lucianas schlaffe Hand nahm und massierte, fielen Tränen auf ihre zerknitterten Wangen. »Bitte, Lulu, bitte, wach auf«, sagte sie in Italienisch. »Bitte, bitte, komm wieder zu dir.«
Lily musste nicht verstehen, was sie sagte, um im Bilde zu sein. Sie legte die Hand auf Violettas schmale, bebende Schulter.
»Ich kann sehen, dass Sie Ihre Schwester sehr lieben«, sagte sie sanft. »Und ich weiß, Sie wollen für sie nur das Beste. Darum rufe ich jetzt den Notarzt.«
Violetta klappte den Mund auf, um zu protestieren – der Krankenwagen fuhr immer zur Mikrowelle, und oft genug war es nur eine einfache Fahrt –, aber als sie anfangen wollte zu sprechen, spürte sie, dass Luciana ihre Hand drückte, zunächst schwach, dann kräftiger.
»Du hast es mir versprochen«, krächzte ihre Schwester, die Augen nach wie vor geschlossen. »Du hast es versprochen.«
Violetta hob den Kopf und nickte, woraufhin Lily rasch zum Hotel Adesso lief, wo sie der Rezeptionistin erklärte, was passiert war, und dafür sorgte, dass ein Notarzt gerufen wurde.
Als sie in die Küche zu den Schwestern zurückkehrte, saß Violetta nach wie vor auf der Bettkante und hielt Lucianas Hand, aber ihr Verhalten am Krankenbett hatte sich zum Schlechteren gewendet. Sie brüllte ihre Schwester auf Italienisch an.
»Violetta, bitte!«, sagte Lily eindringlich. »Die arme Frau hat einen schrecklichen Sturz hinter sich!«
»Sie sollte besser aufpassen, wo sie den Fuß hinsetzt! Das habe ich ihr gerade gesagt.«
Luciana öffnete nun die Augen und murmelte schwach etwas, das ihre Schwester mit einer weiteren kräftigen Schelte beantwortete.
»Eventuell können Sie mit ihr ein anderes Mal streiten, wenn sie aus dem Krankenhaus zurückkommt«, schlug Lily vor. »Sie ist ziemlich geschwächt. Sie hat einen Schock. Sie könnte ernsthaft verletzt sein. Jetzt ist nicht die Zeit zu streiten.«
Violettas Augen wurden schmal. Wenn sie aus dem Krankenhaus zurückkommt? Ha! »In unserem Alter gibt es vielleicht kein anderes Mal«, entgegnete sie, aber wieder geriet ihre Stimme ins Stocken.
»Ist das nicht umso mehr ein Grund, nicht zu streiten?«, konterte Lily.
»Aber wenn wir nicht streiten, woher sollen wir dann wissen, was die andere denkt?«, fragte Violetta. »Wir streiten uns seit fast hundert Jahren, und ja, es geht dabei laut zu, aber dafür sind die Fronten klar. Sie weiß, was ich denke. Ich weiß, was sie denkt.«
Das Geräusch eines Fahrzeugs, das näher kam, erfüllte die Küche, und kurz darauf eilten zwei Sanitäter herein. Unter Violettas knurriger Aufsicht beförderten sie Luciana auf eine Trage und brachten sie hinaus auf die Straße – die für Lily nur zwei Zentimeter breiter zu sein schien als der Krankenwagen. Tatsächlich war das Fahrzeug so klein, dass Violetta, die hinten einsteigen wollte, von den Sanitätern mit der Erklärung abgewiesen wurde, es gebe nicht genügend Platz, und sie solle in die Klinik nachkommen.
Das kam überhaupt nicht gut an.
»Ich bin sicher, die werden sich dort gut um sie kümmern«, sagte Lily tröstend und stellte sich neben die kleine Frau, während der Krankenwagen losfuhr und den Hügel in einem gefährlichen Affenzahn hinabbrauste, wenn man bedachte, wie wenig Platz zwischen den Häuserwänden auf beiden Seiten war.
»Pah! Gut kümmern? Dafür ist unser Krankenhaus nicht gerade bekannt«, entgegnete Violetta, und obwohl sie verärgert klang, waren ihre faltigen Wangen feucht von frischen Tränen.
»Ich bin verloren ohne sie«, sagte sie, und ein Schluchzen entfuhr ihr, obwohl es ein bisschen klang wie ein Teelöffel, der in den Küchenabfallzerkleinerer fiel. »Ich bin verloren.«
Ihre Worte hallten wider um Lilys zusammengepresstes Herz.
Sie nahm Violetta an die Hand und geleitete sie zurück ins Haus, setzte sie an den Küchentisch, goss ihr ein Glas Wasser ein und war unsicher, was sie als Nächstes tun sollte, als eine Nachbarin im Küchenfenster auftauchte, die offensichtlich wissen wollte, was los war.
»Sie bringt mich zu Luciana«, erklärte Violetta Lily schließlich nach dem Gespräch, während ihr Gesicht mit jedem Wort kleiner und blasser wurde.
Der älteren Nachbarin schien es nichts auszumachen, die Verantwortung zu übernehmen, und da ihre Vermieterin versorgt war, ging Lily nach oben und setzte sich an ihr weit geöffnetes Panoramafenster, atmete die wunderschöne Toskana ein, dachte über die
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