Cantucci-Herzen brechen nicht: Roman (German Edition)
hineinzugehen. Aber als sie einmal in der staubigen kleinen Kabine stand, wählte sie rasch Roses Nummer und hielt den Atem an, während es klingelte.
»Hallo, hier ist Harry«, klimperte eine junge Stimme durch die Leitung über den Ozean.
»Hallo, mein Schatz, hier ist deine Tante Lily«, sagte sie, unfähig, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Wie geht es dir?«
»Gut«, antwortete Harry. »Ich kann schon fast so schnell lesen wie Jack. Aber dafür ist er im Fußball besser.«
»Das freut mich für dich, Schatz. Das sind tolle Neuigkeiten. Du bist jetzt ein großer Junge! Hey, ist deine Mom da?«
Sie hörte, wie der Hörer auf den Boden plumpste und Harry im Hintergrund brüllte, dass Lily am Apparat sei und dass er sie über das Lesen und den Fußball aufgeklärt habe.
Rose war gleich darauf in der Leitung.
»Lily? Bist du es wirklich?«
»Ja, ich bin es. Ich rufe aus der Toskana an.«
»O mein Gott, ich kann es nicht glauben! Du klingst, als wärst du direkt um die Ecke. AL ! GEH MIT DEN KINDERN RAUS , UND KOMMT NICHT WIEDER REIN , BEVOR ICH ES EUCH SAGE ! ICH TELEFONIERE GERADE MIT LILY IN ITALIEN . JA , ITALIEN ! Also, was ist passiert? Hast du Daniel gefunden? Wie ist es in Italien? Wie geht es dir?«
»Mir geht es gut, aber ich habe Daniel nicht gefunden. Er ist nicht hier.«
»Nicht in Italien?«
»Das weiß ich nicht, aber jedenfalls ist er nicht dort, wo ich ihn vermutet habe, wo er sich normalerweise aufhält, wo ich jetzt bin.«
»Und was ist mit dem Flittchen?«
»Nun ja, sie ist hier, aber um ehrlich zu sein, sie ist nicht gerade der Flittchen-Typ. Das ist eine lange Geschichte, aber ich habe den Eindruck, Daniel hat sie ebenfalls verlassen.«
»Du willst mich wohl veralbern«, keuchte Rose. »Bist du sicher?«
»Ja. Nein. Ich weiß nicht. Keine Ahnung. Ich bin einfach nicht – o Gott, Rose, ich kann einfach nicht glauben, dass es Daniel ist, von dem wir hier sprechen. Mein Daniel. Was ist passiert? In dem einen Moment gab es nur uns, ein normales, glücklich verheiratetes Paar, und im nächsten ist es wie in einem furchtbaren Albtraum, der immer schlimmer und schlimmer wird, aber aus dem man nicht aufwachen kann. Ich sitze in der Zwickmühle. Ich stecke absolut fest.«
»Oh, Süße, ich kann mir nicht vorstellen, was du gerade durchmachst«, sagte ihre Schwester, und die Wahrheit darin grub sich so flink in Lilys unerschlossene Einsamkeit, dass es sie umhaute.
Niemand ahnte, was sie durchmachte. Niemand hatte es je geahnt. Andere Leute hatten vielleicht die gleichen Arten von Verlust erlitten wie sie, aber sie war nicht andere Leute. Niemand ahnte, was es bei ihr angerichtet hatte. Niemand ahnte, wie schwer es gewesen war, ihr Überleben zu sichern. Sie hatte es so satt.
»Die Babys, Rose«, flüsterte sie. Die wunderschönen verlorenen Babys. Kleine Hoffnungsschimmer und Gebete, die ihr fast alles gegeben hatten, wovon sie jemals geträumt hatte.
Überleben? Die Welt, die sie sich aufgebaut hatte, um nicht von ihrer Trauer um die verlorenen Babys aufgefressen zu werden, zerbröselte an Ort und Stelle, in der Telefonzelle – und Lily mit. Sie glitt an der Scheibe herunter und sackte auf den schmutzigen Boden.
»Es tut mir so leid, Rose«, schluchzte sie. »Das ist alles meine Schuld. Allein meine Schuld. Ich konnte es einfach nicht ertragen, dass du so glücklich bist mit deinen Kindern, während ich kein eigenes haben konnte. Es tut mir unheimlich leid, wirklich. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich das tun. Du hast mir so gefehlt. Ich vermisse dich wirklich, und es tut mir schrecklich leid.«
Den Kopf in die Hände gestützt, klemmte sie den Hörer zwischen Ohr und Schulter, wie sie das von Rose kannte.
»Oh, Lily«, sagte ihre Schwester. »Bitte, mir tut es genauso leid. Ich hätte es auch in Ordnung bringen können, weißt du, aber das habe ich nicht getan. Du bist diejenige, die Dinge in Ordnung bringt, also habe ich alles dir überlassen, aber das hätte ich nicht tun sollen. Darum sind wir beide schuld. Und mag sein, dass ich die Kinder habe, aber die Wahrheit ist, ich habe dich trotzdem um dein Leben beneidet. ICH SAGTE RAUS , AL , UND ZWAR ALLE ! Ich habe dich beneidet um deine schönen Kleider, die nicht vollgesabbert sind, um deine Beine ohne Krampfadern, um deine zierliche Figur, um deinen Schlaf, um deine Ruhe. Anscheinend ist man nie zufrieden mit dem, was man hat, egal was es ist. Und so, wie ich momentan für Al empfinde, würde ich
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