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Capitol

Capitol

Titel: Capitol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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vorstellen konnte) und später ganz einfach durch die totale Einsamkeit, gerade weil es ihr gänzlich verwehrt war, allein zu sein.
    »Batta, ich sticke, in den reichen Häusern gebraucht man dafür richtige Baumwolle, aber das können wir uns von deines Vaters Pension natürlich nicht erlauben, aber sieh nur, was für eine hübsche Blume ich mache – oder ist es eine Biene? Der Himmel mag es wissen, aber ich habe beides noch nie gesehen, aber siehst du nicht, was für eine hübsche Blume das ist? Danke schön, Liebes, es ist eine hübsche Blume, nicht wahr? Weißt du, in den reichen Häusern gebraucht man dafür richtige Baumwolle, aber das könnten wir uns von deines Vaters Pension nie erlauben, nicht wahr? Dies ist also synthetisch. Man nennt es sticken, möchtest du nicht die hübsche Biene sehen, die ich mache? Ist sie nicht hübsch? Danke, liebe Batta, du hast so eine nette Art, dafür zu sorgen, daß ich mich wohl fühle. Ich sticke gerade. Oje, ich glaube, Vater ruft. Ich muß zu ihm gehen – oh, tust du es? Danke. Ich bleibe hier sitzen und sticke weiter, wenn es dir nichts ausmacht.«
    Im Schlafzimmer dumpfes Schweigen. Qualvolles Stöhnen. Die Beine fingen normal an der Hüfte an und endeten plötzlich abrupt (keine zwei Zentimeter vom Schritt entfernt) an den steil abfallenden Bettlaken, wodurch das Bett unten so flach und glatt aussah, als schliefe niemand darin.
    »Weißt du noch?« knurrte er, als sie die Kissen umdrehte und ihm seine Tabletten holte, »weißt du noch, als Darff mit drei Jahren hereinkam und sagte: ›Daddy, du sollst mein Bett haben und ich deins, denn du bist genauso klein wie ich‹. Das närrische Kind, und ich nahm ihn auf und drückte ihn, obwohl ich das kleine Ungeheuer am liebsten erwürgt hätte.«
    »Das wußte ich nicht mehr.«
    »Die Wissenschaft kann alles, nur nicht einen Mann heilen, der den Hintern verloren hat, die Beine verloren hat und jeden verdammten Nerv. Außer einem, Gott sei Dank, außer einem.«
    Ihn zu baden, rief bei ihr Ekel hervor. Der Wagen hatte ihn am Tunnelausgang von der Seite erwischt, hätte er anders gestanden, wäre ihm der Bauch weggerissen worden, und er wäre auf der Stelle tot gewesen. So verlor er die Hinterbacken bis auf die Knochen, seine Eingeweide waren ein einziges Durcheinander, und er hatte keine Kontrolle mehr über seinen Darm. Seine Beine waren nur noch zertrümmerte Knochen. »Aber sie ließen mir genug«, sagte er stolz, »daß ich Kinder zeugen konnte.«
    Und endlos ging es Tag für Tag so weiter, und Batta weigerte sich, noch an Abner Doon zu denken, sie weigerte sich zuzugeben, daß sie einmal die Chance gehabt hatte, von diesen Leuten wegzukommen (hätte ich sie doch genutzt) und ihr eigenes Leben zu leben (hätte ich es doch getan) und für eine Weile glücklich zu sein (hätte ich doch nur nicht – nein, nein, so darf ich nicht denken).
    Dann, als Batta einmal einkaufen war, beschloß die Mutter, Salat zu machen, und sie schnitt sich mit dem Messer ins Handgelenk und vergaß anscheinend, daß der Notrufknopf nur ein paar Meter entfernt war, denn, bevor Batta wieder nach Hause kam, war sie verblutet, und wie gefroren lag ein Ausdruck von Überraschung in ihrem Gesicht.
    Batta war neunundzwanzig.
    Und nach einiger Zeit machte ihr Vater Andeutungen, daß der Geschlechtstrieb des Mannes bei Nichtgebrauch nicht nachläßt, sondern sich verstärkt. Zähneknirschend ignorierte sie ihn, bis auch er eines Nachts starb, und der Arzt sagte, es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, der Unfall habe ihn zu übel zugerichtet, und ohne die ausgezeichnete Pflege wäre er schon längst gestorben. Du kannst stolz auf dich sein, Mädchen.
    Dreißig Jahre.
    Sie saß im Wohnzimmer der Unterkunft, die sie nun allein bewohnte. Die Pension ihres Vaters wurde weitergezahlt – die Regierung behandelte die Opfer von Verkehrsunfällen nicht schlecht. Immer wieder starrte sie auf die Tür und fragte sich, warum sie sich je danach gesehnt hatte, fortzugehen. Was gab es draußen schon zu tun?
    Die Wände wurden ihr zu eng. Das flache Bett im Zimmer ihrer Eltern sah genauso aus, wie es ausgesehen hatte, als ihr Vater den ganzen Tag darauf lag, wenigstens von der Stelle an, wo seine Beine aufgehört hatten. Aber als sie die Decken so drapierte, daß es aussah, als lägen Beine darunter, Beine also dort plazierte, wo sie nie welche gesehen hatte, da wußte sie, daß sie den Verstand verloren hatte.
    Sie packte ihre paar Habseligkeiten (alles andere

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