Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Capitol

Capitol

Titel: Capitol Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
linke Hände, hatte seine Mutter immer zu ihm gesagt.
    Zad nahm seine Hände und legte sie sich um die Hüften. »Nicht zwei linke«, sagte sie kichernd.
    Und dann hatte er ein Stück Holzkohle genommen, und während sie ihm anfangs noch die Hand führte, hatte er einen Baum gezeichnet.
    »Ausgezeichnet«, sagte sie.
    Jetzt schaute er zu Boden und sah, daß er einen Baum in den Sand gezeichnet hatte. Er sah wieder den Zaun an. Sie sind hinter mir her, dachte er.
    Er erinnerte sich, daß Zad gesagt hatte: »Ich werde es nicht zulassen, daß sie dich fangen.« Er schämte sich, daß er sie angelogen und ihr erzählt hatte, er sei ein Verbrecher. Aber wie hätte sie ihn wohl behandelt, wenn sie gewußt hätte, daß er nur der zurückgezogen lebende Sohn von Mrs. Danol war, der fast ganz Pampas gehörte, soweit man es überhaupt besitzen konnte? Dann wäre sie ihm ängstlich begegnet. Statt dessen begegnete er ihr ängstlich. Sie hatte ihn von der Straße aufgelesen in jener Nacht, als er ausgeraubt worden war und zusammengeschlagen – ausgeraubt von einem Mann und dann verprügelt von zwei anderen, die seine Taschen leer gefunden hatten.
    »Was? Bist du verrückt?«
    Er hatte den Kopf geschüttelt, aber heute wußte er es besser. Hatte er nicht schließlich seine Mutter ermordet?
    In der Nervenheilanstalt heulte eine Sirene auf. Von Verzweiflung geschüttelt, rollte Linkeree sich so klein wie möglich zusammen und wünschte, daß er sich in einen Busch verwandeln könnte. Aber was würde das nützen? Dies ist ein völlig entlaubtes Gebiet.
    Er erinnerte sich, daß Zad gefragt hatte: »Was hast du gekriegt?« und er fing an zu weinen.
    Ein Insekt stach ihn, und er schnippte das Insekt von der Hand. Der Schmerz ließ ihn zusammenfahren. Was wollte er hier überhaupt?
    »Was will ich hier überhaupt?« dachte er. Dann erinnerte er sich an seine Flucht aus der Nervenheilanstalt, an seinen Lauf durch das Labyrinth der Gebäude zur Peripherie hin – zur Peripherie, weil dort Sicherheit winkte, weil dort die einzige Hoffnung lag. Vage erinnerte er sich an seine Kindheitsängste angesichts der offenen Ebene – An die Gruselgeschichten seiner Mutter über die Vaqs, die einen holten, wenn man nicht brav war oder wenn man nicht essen wollte.
    »Wenn du mir noch einmal nicht gehorchst, holen dich die Vaqs, und du weißt ja, was sie bei kleinen Jungen am liebsten zuerst essen.«
    Was für eine kranke Frau, dachte Linkeree zum millionsten Mal. Wenigstens ist es nicht erblich.
    Aber es ist doch erblich, nicht wahr? Bin ich nicht gerade aus einer Nervenheilanstalt geflohen?
    Er war ganz durcheinander. Aber er wußte, daß er jenseits des Zauns in Sicherheit war. Vaqs hin, Vaqs her, er konnte nicht im Hospital bleiben. Hatte er nicht seine Mutter umgebracht? Hatte er ihnen nicht gesagt, daß er darüber froh sei? Und wenn sie erst erkannten, daß er überhaupt nicht verrückt war sondern wirklich absichtlich und kaltblütig auf offener Straße in Pampas City seine Mutter ermordet hatte, ohne jede Möglichkeit, sich auf Geistesgestörtheit auszureden – dann würden sie ihn töten.
    Ich will nicht von ihren Händen sterben.
    Unbarmherzig zerkratzte ihn der Stacheldraht, und der elektrische Schlag aus dem oberen Draht hätte eine Kuh betäubt, dachte er. Aber wütend hielt er fest, sein Körper zuckte unter der Stärke der Spannung; er kletterte hinüber; hing einen Augenblick an den Stacheln, bis sein Hemd riß und herabstürzte. Benommen lag er auf dem Boden, als eine weitere Sirene ertönte, diesmal ganz in der Nähe.
    Ich habe ihnen gezeigt, wo ich bin, dachte er. Ich Dummkopf.
    Er stand auf, sein Körper zitterte noch von der Elektrizität, und er taumelte halb blind davon in das hohe, kräftige Gras, das hundert Meter vom Zaun entfernt anfing.
    Die Sonne berührte gerade den Horizont.
    Das Gras war rauh und scharf.
    Der Wind war eisig.
    Er hatte kein Hemd.
    Ich werde hier draußen heute nacht zu Tode frieren. Ich werde an Unterkühlung sterben. Und der Teil von ihm, der sich immer hämisch freute, höhnte: »Das geschieht dir recht, du Muttermörder. Das geschieht dir recht, Ödipus.«
    Nein, das stimmt alles nicht. Dann muß man doch den Vater töten, nicht wahr?
    »Oh, ist das nicht ein Bild von mir?« fragte Zad, als sie sah, was er mit den Wasserfarben gemacht hatte. »Es ist ausgezeichnet, außer daß ich nicht blond bin.«
    Und er sah sie an und hatte im Augenblick nicht die geringste Ahnung, warum er sie für blond

Weitere Kostenlose Bücher