Cappuccino fatale
»Hauptgang«
wegzulassen und gleich zum caffè überzugehen. Dieser
wird in den mir inzwischen gut bekannten kleinen Tassen mit Napolone-Aufdruck
serviert.
Conti stürzt seinen Espresso herunter und schaut auf die Uhr. Es ist
mittlerweile kurz nach vier. »Ich muss los«, sagt er.
»Klar, die Arbeit ruft«, gebe ich mich professionell. Ich habe meine
Kunden nun schon lange genug aufgehalten.
»Nein, ich muss nach Hause«, gibt Conti zurück. »Unser Sohn ist
krank und ich habe meiner Frau versprochen, heute früher nach Hause zu kommen.«
»Oh, hoffentlich nichts Ernstes?«, erkundige ich mich höflich.
»Nein, das Übliche, was Kinder so bekommen, aber wir haben eine
Höllennacht hinter uns, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Er zwinkert mir zu.
»Wann geht dein Flug?«, will Paolo wissen.
»Um kurz nach acht.«
»Erst um acht?« Conti ist erstaunt. »Signorina, nach allem, was
Ihnen hier heute passiert ist, können wir Sie auf keinen Fall alleine durch die
Stadt laufen lassen.« Er schaut Paolo auffordernd an.
»Es wäre mir eine Ehre, dir in den verbleibenden Stunden auch die
schönen Ecken unserer Stadt zu zeigen«, reagiert er prompt.
Dabei sitzt das schönste Stück der Stadt doch schon direkt vor mir.
Nachdem Conti die Rechnung für uns alle bezahlt und sich
von mir verabschiedet hat, brechen Paolo und ich zu Fuß ins historische
Stadtzentrum Richtung Universität auf. Das Viertel ist zwar ähnlich
heruntergekommen wie jene, die ich schon gesehen habe, aber es hat
zugegebenermaßen einen ganz besonderen Charme. Paolo zeigt mir zahlreiche
Kirchen und Plätze und hat zu jedem Ort eine Anekdote parat.
»Aber jetzt«, sagt er schließlich, »zeige ich dir Neapel von seiner
allerschönsten Seite: von oben.«
Er winkt ein Taxi heran und lässt uns in Richtung Westen fahren.
Schon wenige Straßen weiter fühle ich mich, als hätten wir die Stadt
gewechselt. Die Straßen werden breiter, die Häuserfronten gepflegt und
prunkvoll. Wir kommen an einem langgestreckten, hübschen Park vorbei, biegen
nach links ab und dann geht es bergauf. Endlich kann ich das Meer sehen, das
sich im Dämmerlicht zu unserer Linken erstreckt.
Kurz darauf kommen wir an einem Lokal mit großer Aussichtsplattform
an. Östlich von uns liegt die Stadt, die sich förmlich an den Halbkreis des
Küstenbogens zu drängeln scheint. Im Hafen gehen die ersten Lichter an. Es weht
ein milder Wind.
»Dort hinten wurde ich geboren.« Paolo deutet in Richtung der Hügel,
irgendwo im Norden.
»Ist es schön dort?«, will ich wissen.
»Nein, abgesehen von dem Ort hier oben ist Neapel fast nirgendwo
richtig schön.« Er blickt etwas wehmütig in die Ferne. »Neapolitaner zu sein
ist nicht einfach, wenn du jemand bist, der nicht wegschauen möchte, verstehst
du?«
»Hm, so ungefähr. Ihr seid in der ganzen Welt berühmt für die
Problemchen, die ihr in eurer Stadt habt.«
»Problemchen«, wiederholt er bitter. »Es ist schon eine Schande, was
hier abgeht. Und das Schlimmste ist: Das Ganze interessiert die meisten Bürger
von Neapel überhaupt nicht. Das geht bei unserem Müllproblem los und hört bei
der heftigen Kriminalität noch längst nicht auf.«
»Das sollten wir in unserer Kampagne aber lieber nicht erwähnen«,
versuche ich einen fröhlichen Ton in unser Gespräch zu bringen.
Paolo lacht. » No, assolutamente no! Sergio
und ich hoffen sehr, neue Märkte für uns öffnen zu können, sonst wird es
wirklich eng für uns.«
»Warum?«
Er schweigt und ringt sichtlich mit sich. Dann holt er tief Luft.
»Sergio weigert sich, den hier üblichen pizzo, das
Unternehmerschutzgeld, zu zahlen. Das ist der Hauptstreitpunkt zwischen ihm und
seinem Vater, der sich natürlich riesige Sorgen um das Unternehmen und vor
allem um seine Familie macht. Sergio geht mittlerweile sogar so weit, auf
Handelskammerveranstaltungen Werbung für seinen Weg zu machen.«
»Aber ist das nicht gefährlich?« Ich fühle mich wie ein Kleinkind,
das außer einem ständigen »Warum?« gerade keinen sinnvollen Beitrag zur
Unterhaltung zu bieten hat.
»Das ist sogar äußerst gefährlich.« Paolo
hält kurz inne. »Weißt du, wie viele Menschen in dieser Gegend jedes Jahr auf
offener Straße erschossen werden, nur weil sie dem System im Weg sind?«
Ich schüttele den Kopf.
»Jedes Jahr weit über hundert.«
Wir schweigen. Nebeneinander lehnen wir am Geländer der
Aussichtsplattform und lassen den Blick in die Ferne schweifen. Rechts am
Horizont erkenne ich Capri,
Weitere Kostenlose Bücher