Cappuccino fatale
mein unbefugtes Eindringen in sein
kleines Berufsreich durch das Starren auf seinen Rechner. Mit einer resoluten Geste dreht er den Bildschirm weiter zu sich heran
und damit von mir weg.
»Wann wollen Sie denn nun fahren?«, blökt er mich stattdessen
ungeduldig an.
»Nennen Sie mir einfach die nächstmögliche Schnellverbindung«,
erwidere ich entnervt und schiebe meine Kreditkarte durch den Schlitz in der
Scheibe.
Unsere Geschäftsbeziehung endet wortlos. Ich unterschreibe einen
Kassenzettel und erhalte im Gegenzug ein Ticket für eine einfache Fahrt nach
Rom ohne Angaben von Zeiten oder gar einer Rückfahrtmöglichkeit.
Bei meiner Suche nach den Abfahrtsinformationen in der Halle
entdecke ich einen Pulk von Fahrkartenautomaten, die mir den ganzen Ärger
erspart hätten und den doofen Dicken hoffentlich bald den Job kosten.
Die Idee, am Freitagnachmittag aus Mailand gen Süden zu fahren,
haben außer mir auch noch ein paar andere Menschen. Der Zug ist knackevoll,
aber mit viel Glück finde ich im letzten Waggon einen freien Sitzplatz neben
einer alten Dame aus Apulien. Sie hat einen lustigen bunten Hut auf dem Kopf,
unter dem ein paar weiße Löckchen hervortanzen. Die Dame, die heute noch einen
weiten Weg vor sich hat, bietet mir aus ihrem Reiseproviant ein paar ihrer
selbstgebackenen dolci an und erzählt mir von ihren
fünf Enkelkindern, die sie in Mailand besucht hat. Irgendwann zwischen meinem
achten Plätzchen und dem Bericht über die Zeugnisnoten des drittgeborenen
Enkels verfasse ich eine Nachricht an Paolo.
»Sitze im Zug, komme in circa drei Stunden in Rom an. Stazione
Termini.«
Kurze Zeit später kommt die Antwort.
»Bin mit dem Auto unterwegs«, schreibt Paolo. »In Kampanien und
Latium wird gestreikt. Alle Straßen völlig verstopft. Können wir uns in der
Altstadt treffen? P.«
Hm, in der Stadt treffen? Ich schlucke die aufkeimende Enttäuschung
tapfer herunter.
Die Dame neben mir mustert mich bekümmert. » Tutto
a posto, tesoro? Alles in Ordnung, Schätzchen?«
»Ich dachte«, beginne ich mühsam, »dass ich am Bahnhof in Rom von
jemandem abgeholt werde. Aber er kann leider nicht hinkommen«, erkläre ich ihr.
»Wir werden uns dann wohl irgendwann in der Stadt treffen …« Meine Stimme
klingt so traurig, wie ich bin.
»Ach«, die Dame macht eine wegwerfende Handbewegung und kramt nach
einem weiteren Keks für mich. »Weißt du, ich finde, vom Geliebten mit roten
Rosen in Empfang genommen zu werden, wird völlig überbewertet. Was wirklich
zählt, sind die Jahre nach der ersten Verliebtheit. Was nützt dir am Anfang ein
Strauß Rosen, wenn du die nächsten vierzig Jahre alleine mit den Kindern in der
Küche sitzt und Bohnen putzt.«
Ich bin total verdattert. Was für ein Vergleich. Keine Frage, da
spricht jemand aus Erfahrung und es klingt nach den herben Enttäuschungen eines
langes Ehelebens. Ich weiß daher gar nicht so recht, was ich darauf antworten
soll.
»Da haben Sie sicherlich recht«, erwidere ich daher schlicht.
Sie tätschelt mir die Hand. »Ja, da habe ich ganz bestimmt recht,
meine Liebe«, sagt sie.
In diesem Moment piept mein Handy erneut.
»Übrigens«, lese ich, »ich freue mich auf dich.«
Ich blicke zu meiner Banknachbarin auf, die entwaffnend neugierig
den Kopf über mein Handydisplay gebeugt hält und an ihrer Lesebrille
herumruckelt. Wir zwinkern uns komplizenhaft zu.
Um kurz nach sechs habe ich mich aus dem Zug über die
endlos langen Gleise durch die Vorhalle bis auf den Bahnhofsplatz durchgewühlt,
der normalerweise der zentrale Busbahnhof der Stadt zu sein scheint. Von Bussen
jedoch keine Spur. Stattdessen Horden von Menschen, die mehr oder minder
verloren auf und ab laufen, um herauszufinden, wie sie nun wohl weiter an ihr
Ziel gelangen könnten. Eine Anzeigentafel proklamiert ein Ende des Streiks
gegen 18.00 Uhr, was offenbar jedoch nicht allzu genau genommen werden darf.
Ich drängele mich mit meiner Reisetasche durch die Menschenmassen bis zum
Taxistand. Doch außer Menschenschlangen steht hier nichts. Kein einziges Taxi.
» Scusi «, spreche ich einen elegant
gekleideten Geschäftsmann mit Aktentasche an, »wo parken denn die Taxis hier?«
»Parken? Die fahren heute, Signorina. Und
zwar rund um die Uhr. Offenbar haben sie es noch nicht mal nötig, zurück zum
Bahnhof zu kommen, weil sie unterwegs sofort wieder neue Kunden finden«,
informiert er mich. »Auf ein Taxi dürfen Sie heute nicht zählen. Am besten, Sie
gehen zu Fuß, wenn Sie es
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