Cappuccino fatale
nicht weit haben.«
Was weiß ich, wie weit ich es habe? Ich war noch nie in Rom und in
der Dämmerung möchte ich nicht schon wieder durch eine italienische Großstadt
irren und mich schlimmstenfalls erneut meines Gepäcks entledigen lassen.
In einem Kiosk auf der anderen Straßenseite kaufe ich mir einen
Stadtplan, um herauszufinden, wo ich gerade bin und wie ich in die Altstadt
komme. Das sieht nach einem strammen Marsch für mich aus, aber habe ich eine
Wahl? Just in diesem Moment klingelt mein Handy.
» Ciao, bella, wo bist du?«, will Paolo
wissen.
Ich berichte ihm von der Verkehrssituation, die ich hier vorgefunden
habe, und von dem mir bevorstehenden Fußmarsch ins Zentrum, sollte ich nicht
unterwegs doch noch einem Taxi begegnen, dem ich mich in den Weg werfen könnte.
» Ascolta, hör zu«, fängt Paolo an, »ich
stehe in einem gigantischen Stau irgendwo auf der Autobahn zwischen Neapel und
Rom. Hier ist ein Laster umgefallen oder so, jedenfalls geht es weder vor noch
zurück. Ich kann dir nicht sagen, wann ich in Rom sein werde. Tut mir
wahnsinnig leid.«
Ich bin wahnsinnig enttäuscht.
Paolo nennt mir ein kleines Hotel in Trastevere, in dem er für uns
zwei Zimmer reserviert hat. Zu Fuß definitiv zu weit. Daher beschließe ich,
mich in einer der zahlreichen Herbergen in Bahnhofsnähe einzuquartieren, und
mache mich auf die Suche nach einer Bleibe. In der lauten und geschäftigen Via
Nazionale klingele ich bei einem Zwei-Sterne-Etagenhotel im dritten Stock und
bekomme tatsächlich ein bezahlbares Einzelzimmer, das sogar nicht auf die
Hauptstraße rausgeht. Dafür steht mein Bett direkt an der Wand zum Fahrstuhl.
Aber alles, was keine Disco ist, macht mir sowieso nichts mehr aus.
Es dämmert bereits, als ich aufbreche, um noch ein wenig
die Stadt zu erkunden. Ich komme zu einer höllisch lauten T-Kreuzung, an deren
Kopfende ein riesiges, schlossartiges Monument aus weißem Marmor steht, und
verliere mich kurz darauf irgendwo in den stark befahrenen Straßen des
römischen, streikgebeutelten Freitagabendverkehrs. Der Smog in Mailand ist
frische Luft dagegen, das Gewühl der Autos und das ständige Hupen lassen mich
fast schwindelig werden.
Das ist also die Stadt, in die es jährlich Millionen von Besuchern
zieht.
Hm, hart im Nehmen, diese Millionen von Menschen, denke ich, hechte
über die Hauptstraße und flüchte mich in eine Seitengasse der Via Cavour.
Schon nach wenigen Metern scheine ich mich in eine andere Welt
gebeamt zu haben. Vor mir tut sich geradezu ein beschauliches Dörfchen auf.
Kleine Läden mit Kunst, ausgefallenen Kleidern, Hüten und Schmuck säumen links
und rechts die Straße. Gerade werden hier und da die ersten Rollläden
heruntergelassen und die Geschäfte geschlossen. An einer Bar an der Ecke fegt
ein barista die Straße um seine Außentischchen herum
und unterhält sich dabei lautstark mit einer vollbusigen Frau, die im ersten
Stock über ihm in Plauderlaune auf der Fensterbank hängt. Ein paar Straßen
weiter entdecke ich ein kleines chinesisches Restaurant und beschließe, für
heute mal der italienischen Küche den Rücken zu kehren.
Der asiatische Kellner begrüßt mich schon in der Eingangstür. »Sind
Sie allein?«, fragt er und blickt suchend zur Tür, ob da wohl noch einer kommt.
»Hrmpf«, brumme ich, im Begriff, mich an einem gemütlichen Tisch in
der Ecke des Lokals niederzulassen.
»Nein, hier bitte nicht«, dirigiert mich der Kellner, »bitte hier.«
Er weist mir einen Minitisch mitten im Raum zu. Ich verstehe, das
Übliche: Große Tische werden nur an Gruppen von drei bis vier Personen
vergeben. Ich alleine an einem Riesentisch, das bedeutet Umsatzverlust.
Daher sitze ich nun wie ein Storch im Salat mitten im Raum des noch
leeren Restaurants, bestelle Nasigoreng mit Huhn und schaue mich etwas düpiert
um.
»Sind Sie alleine?« – Was für eine Frage. Ja, ich bin alleine.
Ich fühle mich gerade sogar ganz schrecklich alleine.
Was mache ich hier eigentlich? Ich habe meinen Job in Hamburg,
meinen Freundeskreis, meine Wohnung, einfach alles auf Eis gelegt, um in
Mailand … Ja, was eigentlich? Seit Wochen bin ich ständig rastlos, auf der
Suche nach irgendwas. Erst habe ich über einer Disco gewohnt und gelitten, dann
eine eher unglückliche Affäre mit einem Künstlerfreak begonnen und zu allem
Übel schlage ich mich in einem völlig chaotischen Job durch.
Als wäre das nicht genug, sitze ich nun auch noch hier in einem
Lokal herum, versuche den
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