Cappuccino fatale
selbstverständlichste Sache der Welt.
»Und was ist das hier?«, will Luigi von mir wissen. »Strategiearbeit
oder ein Kaffeekränzchen?«
Ich zucke mit den Schultern. Stundenlang hatte ich versucht, Stefano
bei seiner strategischen Heimarbeit sowohl mobil als auch per Festnetz und
E-Mail zu erreichen. Nichts. Alles deutet darauf hin, dass er offline
meditiert.
»Na ja, was soll’s, fangen wir an.« Verärgert blättert Luigi in
einer Kopie unserer Marketingpräsentation. » Allora, was ihr hier bisher erarbeitet habt, ist ganz nett , meiner Ansicht nach aber noch nicht weitgehend
genug.«
Wenn er jetzt noch holistisch sagt, muss
ich ihn würgen.
Lidia und Maria wirken interessiert, während ich aus dem Fenster
gucke und mich insgeheim beklage, dass mir die Natur keine Flügel angebaut hat,
um mich einfach auf und davon machen zu können, wann immer ich mir ein Gequirle
dieser Art anhören muss. Dann würde ich jetzt nach Neapel fliegen, mich zu
Paolo flüchten und wir würden …
»Was hier völlig fehlt«, reißt mich Luigis Stimme aus meinen fernen
Träumen zurück auf den Boden der Realität, »ist die Betrachtung des
Vertriebsaspekts. Was für eine Agentur sind wir? Eine Marketingagentur oder
eine Werbeklitsche? Ersteres, würde ich mal behaupten, oder etwa nicht?«
Erneut kollektives artiges Nicken. Ich konzentriere mich darauf,
meinen angespannten Gesichtsausdruck zu einem hoch motivierten fachmännischen
Blick mutieren zu lassen, und erteile Befehle an die zuständigen
Gesichtsmuskeln.
»Marketing, was ist das?« Luigi schaut Lidia herausfordernd an.
»Das Zusammenspiel von Werbung, Vertrieb und Produkt«, zählt sie
brav wie aus der Pistole geschossen auf.
»Aha!« Luigi klopft mit der flachen Hand auf die vor ihm liegend
Präsentationsmappe, lässt sich dann entspannt gegen die Rücklehne seines Stuhls
sinken und verschränkt die Hände hinter seinem perfekt frisierten Kopf. »Wenn
dem so ist«, fährt er mit klugem Gesicht fort, »dann will ich von euch wissen:
Wo, bitte schön, habt ihr den Vertriebsaspekt hier berücksichtigt?«
Betretenes Schweigen. Luigi schaut der Reihe nach in unsere leeren
Gesichter und nickt dann bekümmert wie eine Hundemutter über ihre nicht
stubenrein werdenden Welpen.
»Wenn wir erreichen wollen«, Luigi wieselt aus seiner halben
Liegeposition hoch und stützt die Ellenbogen auf dem Tisch ab, »dass Napolone
im ganzen Land und darüber hinaus als junge, dynamische Qualitätskaffeemarke
wahrgenommen wird, muss das auch der Vertrieb nach außen tragen, der das Zeug
in die Bars und in die Supermärkte verkauft.«
Stille. Wir lassen seine Worte andächtig nachklingen.
» Si, certo , na klar«, sagt Maria so
begeistert zu Luigi, als wäre die Idee von ihr. »An jedem interface ,
an dem Konsumenten und Kunden mit der Marke in touch kommen, muss der brand spirit holistisch kommuniziert werden.«
Da ist es wieder, das Wort. Diese Klugscheißerin. Ich werde gleich
eine Matrix für Bullshit-Bingo in meinem Notizbuch anlegen. Lidia hingegen ist
die Verärgerung darüber anzusehen, nicht als Erste einen intelligenten Sermon
dieser Art abgelassen zu haben.
»Genau so ist es«, freut sich dagegen der Chef. »Exakt diesen Aspekt
müssen wir noch challengen und unserer Strategie
hinzufügen. Ihr arbeitet doch sowieso gerade an der Umsetzung der Ergebnisse
eurer letzten Besprechung, richtig?«
Wieder kollektives Nicken.
»Dann lasst uns dieses Thema konsolidieren und dem Kunden sozusagen als On-top-Service präsentieren«, fährt Luigi fort. »Maria, kannst du den Aufwand dafür in der
Budgetplanung entsprechend kalkulieren und irgendwelche Kosten umschichten?«
Maria gibt sich nachdenklich. »Ich denke schon«, sagt sie dann.
»Oder wir machen die Bildretuschen doch intern, um Kosten zu sparen«, schlage ich keck vor. Ich habe unseren Disput in
der Kaffeeküche noch nicht verwunden.
»Was für Retuschen?«, fragt Luigi desinteressiert.
Maria schüttelt den Kopf und wirft mir einen Blick zu, als wäre ich
eine lästige Mücke.
»Details«, winkt sie Luigi gegenüber ab, »ich plane die
Vertriebssache ein, kein Thema.«
Der Chef wirkt zufrieden, zückt sein Mit-dem-fliege-ich-auch-zum-Mars-Handy
und streichelt ein wenig auf der Glasoberfläche herum.
»Ich würde die Herrschaften von Napolone zur Besprechung der Details
gerne zu uns einladen«, sagt er. »Dieser Sergio Conti soll seinen
Vertriebsfuzzi gleich mitbringen. Bossi oder wie der heißt.«
»Paolo Rossi«,
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