Caras Gabe
schon einmal gesehen.
Der Schmerz wurde zu einem dumpfen Pochen und kurz darauf war ich mir schon gar nicht mehr sicher, ob ich tatsächlich meine Hand betrachtete oder die eines anderen.
Ich hob den Blick. Weiter hinten, dort wo die Felsen steil in den Himmel ragten, standen drei weitere Lichtträger.
Arun lag reglos vor ihnen auf dem Boden. Ein Lichtträger hatte seinen Flügel in die Schulter des Dämons gebohrt und beugte sich lauernd über ihn. Doch Arun regte sich nicht mehr. Er war bewusstlos.
Sie sahen sich alle so ähnlich, dass ich sie einzig an ihrem Verhalten und an ihrem Haar unterscheiden konnte.
„Hör auf dich zu wehren, Cara“, zischte der, der mich hielt. Sein Haar leuchtete blutfarben in der aufgehenden Sonne. Wie meine Hand.
„Wieso“, keuchte ich, „kennt ihr alle meinen Namen?“
Der Lichtträger lachte auf. „Ich bin Carmej. Und du hast meinen Bruder erschlagen.“ Er riss die Feder aus meiner Hand und mich in der gleichen Bewegung an sich. Ich baumelte in seinen Armen, wie eine Puppe, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Mein Kopf rollte zurück. Das Letzte, was ich sah, war das gierige Grinsen auf dem Gesicht des Lichtträgers, der Arun durchbohrt am Boden hielt. Dann verschluckte mich der Lichtstrahl.
Es stach wie unzählige winzige Nadelstiche auf meinem Körper, in meinen Augen und in meinem Kopf, dennoch zwang ich mich, bei Bewusstsein zu bleiben. Als die Helligkeit nachließ, erhaschte ich einen Blick auf hohe graue Zinnen, die von gelben Lichtern umschwebt wurden. Wolkenfetzen verhüllten gewaltige Türme, die wie lebendige Wesen aus dem Fels sprossen, um sich der Sonne entgegenzurecken. Doch von der goldenen Scheibe war nichts zu sehen. Wolken und Nebel herrschten vor.
Carmej seufzte. „Ah, sind sie nicht wunderschön?“
Zwischen den Zinnen und Türmen schwebten sie umher wie gläserne Funken. Lichtträger. So viele, dass ich sie kaum zählen konnte.
„Willkommen in Marmons Zitadelle“, lachte Carmej und drehte sich mit mir in den Armen einmal um die Achse. Für einen Augenblick schwebte ich über einem Abgrund, der sich zu den Füßen des Lichtträgers auftat. Die Wolken, die dort unten lauerten, waren düsterer und schwer, als hielten sie das Versprechen eines Gewitters. Ich stemmte mich gegen den Griff des Lichtträgers, doch Carmej lachte nur und schwang mich herum.
„Marmon hat es zwar verboten“, flüsterte er mir zu. „Doch ich kann nicht anders. Du wirst mir ein paar Geheimnisse verraten, nicht wahr? Zum Beispiel, wie du meinen Bruder töten konntest.“ Er lächelte mich an, als sei ich der Grund all seiner Freuden. „Und dann kannst mir von dem Verräter berichten. Lurian. Sein Vater vermisst ihn seeeehr.“
Ein Lichtstrahl schoss zwischen den Wolken hindurch und enthüllte zwei weitere Lichtträger. Zwischen ihnen hing Aruns leblose Gestalt.
„Nehmt ihm den Umhang ab und werft ihn in die Tiefe“, befahl Carmej kalt. „Der Dämon darf keine Chance haben, uns zu entkommen.“
Ich keuchte bei dem Anblick von Aruns Wunden. „Lasst ihn gehen“, flüsterte ich, obwohl ich schreien wollte, obwohl ich ihnen die verdammte Häme aus den Gesichtern prügeln wollte. „Ich sage euch alles, aber lasst ihn gehen.“
„Nein“, entgegnete Carmej, aber es klang mehr erfreut, erstaunt. Seine Spiegelaugen huschten von mir zu Arun und zurück. „Marmon hatte also Recht. Du bist seine Hure.“ Er gluckste vor Freude wie ein Kind. „Das ist zu schön. Weckt den Dämon auf und bereitet ihn vor.“ Er zwinkerte mir zu. „Du wirst dich noch einen Moment gedulden müssen, liebste Cara. Komm, ich bringe dich in deine Gemächer.“
Ich fühlte mich geschwollen und zerkratzt, kauerte in der hintersten Ecke des Verlieses und lauschte seinen Schreien. Sie erschollen in unregelmäßigen Abständen über den gesamten Tag hinweg, bis in die Nacht hinein. Ich zählte sie gewissenhaft und versuchte ein Muster in ihnen zu erkennen, doch ich fand keines. Mal waren sie spitz, mal dumpf. Mal langgezogen, mal brachen sie mittendrin ab. Ich lauschte wie besessen, krampfhaft darum bemüht, die Botschaft zu entschlüsseln. Arun war bewusstlos gewesen, als wir angekommen waren, doch sie mussten einen Weg gefunden haben, ihn aufzuwecken. Nur damit sie ihn quälen konnte.
Ein weiterer Schrei zerriss die Stille, schnitt mir durch Fleisch und Knochen, wie die schärfste Klinge es nicht vermocht hätte. Wie war es nur so schnell so schlimm geworden?
Irgendwann war es still,
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