Caras Gabe
Augen waren von Erschöpfung und Sorge überschattet. Ihre Gelenke knackten wie brechende Äste, als sie sich neben mir auf die Bank sinken ließ.
Ich wartete geduldig, denn ich spürte, dass sie gekommen war, um mir etwas zu sagen.
Sie senkte den Kopf, dass ihr wallendes Schneehaar über ihre Schulter fiel, und hob eine Hand vor die Augen. „Es gibt Dinge, die muss ich wieder und wieder tun.“ Ihre Stimme klang gedämpft unter ihrer Hand und ihre Schultern zitterten ein wenig.
Erschrocken setzte ich mich auf. Weinte Sowanje?
Doch dann hob sie ihren Kopf. Ihre Augen waren trocken, dennoch lag eine Schwermut in ihnen, dessen Gewicht auch mich zu erfassen drohte. „Vielleicht ist es diesmal das letzte Mal“, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Wer weiß das schon?“
Ich öffnete den Mund, doch mir fielen keine Worte ein. Wahrscheinlich erwartete sie nicht einmal eine Antwort von mir.
Mit einem Blick auf die schlummernden Apfelblüten begann sie zu sprechen. „So warst du schon immer. Hast das Schicksal und alle höheren Mächte verlacht und dich nur auf deine eigene Stärke verlassen. Töricht, wenn du mich fragst, aber vielleicht … hast du ja Recht.“
Ich blinzelte irritiert. Doch gerade, als ich etwas erwidern wollte, lenkte eine Bewegung im Wald mich ab. Kurz darauf trat Ghalla zwischen den Bäumen hervor. Sie bewegte sich so elegant, als würde sie schweben. Ihre Hand strich behutsam über die schneebedeckten Büsche und Sträucher, als wache sie über deren Winterschlaf.
Ein leiser Seufzer drang aus meiner Brust. Nicht einmal das Alter konnte ihrer Schönheit etwas anhaben. Ich spürte einen leichten Stich der Eifersucht, doch dann hob Ghalla eine Hand zum Gruß und lächelte uns zu. Jegliche Eifersucht schmolz zu einem Gefühl der Zuneigung und ich war erleichtert darüber. Ghalla nickte uns noch einmal zu, dann wandelte sie zurück in den Wald.
Sowanje schaute ihr so wehmütig nach, dass mir das Herz schwer wurde.
„Vielleicht“, flüsterte die alte Frau, „ist es dumm von mir, sie in jedem Leben zu suchen, nur um sie erneut zu verlieren. Sie in mein Herz zu schließen, nur damit sie mir entrissen wird. Alleine zu warten, sich an die Hoffnung zu klammern, sie zu suchen …“ Sowanjes Stimme verlor sich im Wind.
Lange Zeit sprach keiner von uns. Die Sonne versank hinter den Wipfeln der Bäume, nahm die Wärme mit sich und tauchte die wenigen Wolken am Himmel in rötlichen Schimmer. Langsam wurden meine Zehen taub vor Kälte, doch ich wollte nicht zurück in die Hütte gehen. Ich zog die Felldecke enger um meine Schultern, atmete tief durch, benetzte die Lippen und sammelte Mut, um das zu sagen, was mich schon länger bedrückte.
„Sowanje?“ Meine Stimme klang heiser. Ich räusperte mich verlegen.
Die weise Frau wandte mir den Kopf zu.
Ich schluckte. „Es gibt da etwas, das Arun mir nicht sagen kann. Etwas, dass mit der Prophezeiung zusammenhängt. Ich würde es niemals wagen, ihn erneut zu fragen, nicht nachdem ich gesehen habe, welche Schmerze es ihm bereitet, aber … es macht mir Angst.“ Ich zitterte ein wenig, als die Worte meinen Mund verließen, wie ein schwacher Zweig, von dem ein schwarzer Vogel aufgestoben war.
Zu meinem Erstaunen nickte Sowanje gelassen. „Es gibt gute Gründe dafür.“
Ich stutzte, kniff die Augen zusammen. „Für meine Angst oder weil ich es nicht weiß?“
Die alte Frau fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und lachte leise. „Du solltest ihn lieben“, sagte sie ernst, „mit ganzem Herzen. Solange du es noch kannst.“
Bevor ich etwas fragen konnte, klopfte sie mir auf den Oberschenkel und erhob sich. Auf ihren Stab gestützt humpelte sie zur Hüttentür und zog sie auf. Doch ehe sie eintrat, hielt sie noch einmal inne. Ihr Blick reichte direkt in meine Seele.
„Bei allen Erfahrungen, die ich mein langes Leben über gesammelt habe“, sagte sie leise, „ist das der einzig gute Rat, den ich dir geben kann. Oh, und noch etwas“, sagte sie schon halb im Gehen. „Du scheinst einen Groll gegen Lurian zu hegen. Ich denke nicht, dass er dich absichtlich in Gefahr gebracht hat. Das würde er nicht wagen, zumal ich ihm das Leben gerettet habe und du unter meinem Schutz stehst.“
„Du hast was?“, fragte ich fassungslos.
Sowanje nickte. „Der arme Junge lag vollkommen zerschmettert da. Er war vor Marmon geflohen. Ich hätte ihm ohne Zögern die Kehle durchgeschnitten.“ Sie sagte es emotionslos und mit einem Glanz in den Augen,
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