Caras Schatten
Dein Vater und ich werden uns jedenfalls beteiligen. Ich finde, es wäre schön, wenn du dich anschließen würdest. Du kannst die Schule ruhig mal einen Tag ausfallen lassen.« Sie stellte die Kaffeekanne auf die Platte und schaltete die Maschine ein.
»Okay«, erwiderte Cara. Sie stellte sich vor, wie sie das Flussbett nach Alexis’ Leiche absuchte. Sie entdeckte eine weiße Hand, die unter einem Baumstamm hervorragte, umspült vom Wasser. Die Cheerios in ihrem Magen wirbelten unangenehm herum. Sie schluckte schwer.
»Treffpunkt ist um neun an der Methodistenkirche«, fuhr Mom fort, während sie eine Tüte Brot öffnete. »Dad und ich gehen schon früher hin, um Kathy bei den Vorbereitungen zu helfen.«
Nachdem ihre Eltern mit den Worten verschwunden waren: »Wir sehen uns in einer Stunde!«, blieb Cara allein am Küchentisch sitzen. Irgendetwas hielt sie davon ab, hinauf in ihr Zimmer zu gehen. Sie wollte jetzt nicht in Zoes Nähe sein, wollte nicht auf der Bettkante sitzen und ihr beim Atmen zusehen – denn genau das würde sie tun, wenn sie jetzt hochginge. Durch das offene Fenster hörte sie, wie draußen Menschen vorbeigingen und sich unterhielten. Zahlreiche Autos fuhren die Straße entlang, deutlich mehr als sonst. Alle bereiteten sich auf die große Suchaktion vor.
Cara saß reglos da, während die Heizung ansprang und wieder ausging. Die Küchenuhr zählte die Sekunden, dann die Minuten. Zwei Minuten verstrichen, dann eine weitere. Als die Uhr 08 : 45 zeigte, rutschte Cara von ihrem Hocker herunter, schnappte sich auf dem Tisch im Flur ihr Handy und schnürte ihre Turnschuhe zu. Dann nahm sie Dads Steppjacke aus dem Garderobenschrank und ging hinaus, um die bedrückende Stille hinter sich einzusperren.
Draußen begrüßte sie ein strahlender Herbsttag. Über ihr erhob sich der Himmel in jenem ergreifenden Blau, das man nur im Herbst zu sehen bekommt. Astern und Chrysanthemen wiegten sich in den Blumenbeeten, und die Rasenflächen waren noch immer leuchtend grün. Die hohen, knisternden Laubhaufen am Straßenrand waren hier und da plattgetreten und auf der Straße zerstreut, weil ein Kind hineingesprungen war.
Bereits aus einem Block Entfernung konnte sie sehen, dass der Parkplatz der Kirche voller Autos war. Der Rasen vor dem Gebäude glich einem Rummelplatz. Alle Anwesenden trugen Jacken und Baseballkappen. Sie hatten sich zu ernsten kleinen Gruppen zusammengeschart und unterhielten sich mit den Händen in den Taschen. Mehrere Schäferhunde zerrten an ihren Leinen, und an einer Straßenecke bemerkte Cara ein halbes Dutzend Pferde, die sich im Kreis aufgestellt hatten. Ihre Reiter plauderten leise miteinander, während die Tiere mit den Köpfen schlugen und angesichts der ungewohnten Gerüche und Geräusche die Ohren spitzten.
In der Nähe der Eingangstreppe war ein großer Klapptisch aufgebaut. Die Hennings standen dahinter und begrüßten die ankommenden Helfer. Vor ihnen lagen ein Zettel, der nach einer Anwesenheitsliste aussah, sowie ein Stapel verschwommener Schwarz-Weiß-Kopien von Alexis’ Foto. Caras Eltern standen direkt daneben. Mom bediente eine riesige Thermoskanne voll Kaffee, den sie eifrig in Pappbecher füllte, und Dad wühlte in einem Pappkarton mit Zuckerpäckchen, Rührstäben und Kaffeesahne.
Sarit und Madeline standen mit ein paar anderen Schülern der Sherman High unter einem Baum am Rand der Wiese. Sarit winkte, und Cara nickte ihr zu, aber sie ging nicht zu ihnen rüber. Im Moment wollte sie nur mit einer einzigen Person sprechen. Erneut ließ sie ihren Blick über den Rasen schweifen, doch sie konnte Ethan nirgends entdecken. Sie mochte sich nicht ausmalen, wo er wohl steckte.
Ein Mann, den Cara als Alexis’ Onkel wiedererkannte, stieg mit einem Zettel in der Hand die Eingangsstufen der Kirche hoch. »Ich möchte euch alle kurz um eure Aufmerksamkeit bitten!« Er wedelte mit den Armen, und die Menge beruhigte sich. »Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid. Dies ist eine schwierige Zeit für unsere Familie, und nur die unermüdliche Unterstützung unserer Gemeinde gibt uns die Kraft, das hier durchzustehen. Wir werden die Helfer in vier Gruppen einteilen. Diese Gruppen sollen die Bereiche Shelton Woods, French Park, Mill Creek und das Flussufer absuchen. Ein besonderer Dank gilt unseren Helfern zu Pferd. Wenn ihr bitte die steilen Abhänge der Hügel übernehmen könntet, das wäre wunderbar.« Der Mann las eine Reihe weiterer Anweisungen von seinem Zettel ab.
Dann
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