Caras Schatten
direktem Wege in ihr Zimmer. Ihr tat einfach alles weh, ihre Füße waren eingefroren, und sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein heißes Bad und ihren Bademantel. Und im Anschluss essen und fernsehen auf dem Sofa. Sie wollte sich in irgendeiner albernen Romantikkomödie verlieren, wo niemand tot im Pool herumschwamm oder mitten in der Nacht verschwand.
Doch ihr Zimmer war leer – schon wieder. »Verdammt noch mal!« Cara schleuderte ihren Rucksack zu Boden. Es war dämlich und gefährlich, wenn Zoe da draußen herumlief, vor allem heute, wo so viele Leute unterwegs waren. Insbesondere, wenn sie zu Hause tatsächlich irgendwelche Dummheiten angestellt hatte. Cara war bemüht, nicht allzu sehr in Zoes Vergangenheit herumzustochern. Aber wenn Zoe tatsächlich ein Verbrechen begangen hatte, würde es sie irgendwann einholen. Die Polizei war überall. Sie konnte sich nicht ewig verstecken. Und anscheinend wollte sie das ja auch gar nicht.
Brodelnder Zorn schäumte in Cara hoch, bis sie sich schließlich umdrehte und kopflos aus dem Zimmer stürmte. Sie polterte die Treppe hinunter und rannte durch die Hintertür. Ihre nassen Turnschuhe klatschten gegen den Boden.
Draußen hatte sich der Himmel inzwischen zugezogen, und die strahlenden Farben vom Morgen waren tristen Schatten gewichen. Die Sonne stand tief am Himmel. Cara rannte die Straße entlang, vorbei an der alten Schule und dem Wasserturm, den steilen Hang hinunter, der zu den Feldern führte. Heute hatte die Landschaft überhaupt nichts Reizvolles – weit und breit sah man nichts als tote, braune Goldruten und zusammengefallene, gelbe Grasbüschel. Cara sprintete über die Felder, bis ihr der Atem in der Kehle pfiff.
Die Scheune war bereits zu sehen. Als Cara sich ihr näherte, verlangsamte sie ihr Tempo. Es überraschte sie nicht, dass das Tor einen Spaltbreit offen stand. »Zoe?«, rief sie. Sie schob sich seitwärts durch die Öffnung. Verdammt, war das dunkel hier drin! »Zoe?«, rief sie erneut. Keine Antwort, nur ein Rascheln. Caras Herz schlug ein wenig schneller, und mit einem Mal wollte sie nicht mehr im Dunkeln allein sein. Sie stemmte die Füße gegen den Boden und drückte mit dem Rücken das schwere Schiebetor auf, bis von draußen graues Tageslicht hereinströmte.
Zoe stand in der Mitte des strohbedeckten Scheunenbodens und trug trotz der Kälte eines von Caras Spitzenunterhemden und Flipflops. Sie hatte Samson auf dem Arm.
»Was machst du hier?«, rief Cara. »Weißt du überhaupt, wie gefährlich es ist, heute da draußen rumzulaufen? Was ist nur los mit dir, Zoe? Willst du etwa, dass sie dich kriegen?« Cara schritt unruhig auf und ab, ihre Wut sprühte Funken.
»Tut mir leid«, sagte Zoe mit der Stimme eines kleinen Mädchens. Sie schob die Unterlippe vor und drückte Samson noch fester an sich. Der Kater wehrte sich. »Nein, nein, mein Süßer. Bleib bei Tante Zoe.« Sie drehte ihn auf den Rücken und wiegte ihn wie ein Baby. Samson legte die Ohren an und fuhr seine Krallen aus.
»Was machst du hier?«, wiederholte Cara.
Zoe zuckte mit den Schultern. »Nur abhängen.« Samson fauchte und zerkratzte ihr den Unterarm. Abrupt ließ Zoe ihn fallen. »Dummes Vieh.« Er landete unbeholfen am Boden und raste aus der Scheune, sein Schwanz aufgebauscht wie eine Flaschenbürste.
Zoe kam auf sie zu. Ihr Haar war strähnig, ihr Unterhemd mit Essensresten beschmiert. Sie hatte sich die Haare zu einem komplizierten Knoten hochfrisiert, und lose Strähnen umrahmten wirr ihr Gesicht. Cara konnte Schuppen und Fett darin erkennen. Ihre Wimperntusche war zu dunklen Ringen verschmiert, die ihre violetten Augen gigantisch aussehen ließen. Als sie sich näherte, rümpfte Cara angewidert die Nase. Sie roch nach Achselschweiß und ungewaschener Wäsche, überlagert von dem intensiven Duft von Shalimar. Irgendjemand hatte Cara mal einen Flakon zu Weihnachten geschenkt, aber sie hatte das Zeug nie angerührt. Zoe musste es in ihrem Schminktisch gefunden haben.
Zoe kam immer näher. Ein plötzlicher Anflug von Schwindel brachte Cara für einen Moment ins Wanken. »Ich hab dich so vermisst«, säuselte Zoe. Sie streckte die Hand aus und spielte mit einer Strähne von Caras Haar. Ihre Fingernägel waren gesplittert, einer sogar bis ins Fleisch, aber sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ein Pflaster drüberzukleben. »Ich hab mich den ganzen Tag so einsam gefühlt ohne dich.« Sie kam noch näher heran. Cara spürte Zoes heißen Atem an ihrer
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