Caras Schatten
erklärte Mom. »Mir war klar, dass sie gerade einen ihrer Zustände bekam, als sie meinte, Zoe wäre zurückgekehrt. Ich habe mir furchtbare Sorgen gemacht, als plötzlich die Verbindung abriss. Wir sind auf der Stelle losgefahren.«
Stanton machte sich eine Notiz auf ihrem gelben Block. »Was meinen Sie mit ›Zustand‹, Mrs Lange?«
Caras Mutter wechselte einen flüchtigen Blick mit ihrem Vater. Sie atmete tief ein. »Cara hatte lange Zeit psychische Probleme.« Während sie sprach, strich sie ihrer Tochter mit der Hand rhythmisch über den Rücken. »Es fing an, als sie noch ganz klein war. Sie sprach andauernd von ihrer imaginären Freundin, Zoe. Alle kleinen Kinder haben imaginäre Freunde, aber Caras Freundin schien irgendwie … realer. Sie spielte oft in einem verlassenen Haus auf der anderen Straßenseite, und wenn sie nach Hause kam, erzählte sie mir, was sie alles mit Zoe unternommen hatte. Sie nannte es immer ›Zoes Haus‹.«
Mom atmete tief durch, ehe sie fortfuhr. »In unserem Haus passierte andauernd irgendetwas: Dinge zerbrachen, Gegenstände verschwanden. Und jedes Mal behauptete Cara, es sei Zoe gewesen. Sie schob es sogar auf Zoe, als ich eines Tages ein Küchenmesser in ihrem Zimmer fand. Damals hatten wir zum ersten Mal das Gefühl, dass mit Cara irgendetwas … nicht stimmte.«
Cara starrte in die dunkle Höhle unter ihren Armen. Sie hörte, wie jemand auf einem Notizblock kritzelte.
Dad räusperte sich. »Ähm … ja … aber uns wurde erst bewusst, dass wir etwas unternehmen mussten, als Cara in der fünften Klasse von einer Nachbarin beobachtet wurde, wie sie einen Hund aus der Nachbarschaft vergiftete. Der Hund hatte sie einige Tage zuvor gebissen.« Dads Mund bildete eine finstere Linie. »Immer, wenn Cara eine schwierige Zeit durchmachte, fing sie an, von Zoe zu reden. Nach der Sache mit dem Hund kamen wir zu dem Schluss, dass ihr ein Umgebungswechsel vielleicht ganz gut tun würde. Aus diesem Grund sind wir hierhergezogen.«
Cara hob den Kopf. Ihr Gesicht spannte von den getrockneten Tränen. »Es war Zoes Idee!«, schluchzte sie. » Sie hat dieses Gift gestohlen.«
»Cara, Cara.« Mom tätschelte ihre Schulter. Sie wandte sich erneut an Stanton, die ihren neutralen Ausdruck beibehalten hatte. »Sie dürfen nicht denken, dass wir Cara vernachlässigt hätten. Cara hat sich nach dem Umzug wunderbar gemacht. Wir sind mit ihr zu einem hervorragenden Psychiater gegangen, Dr. Robert Samuels. Er hat ihr ein neues Medikament verschrieben, das ihre Wahnvorstellungen scheinbar unter Kontrolle brachte. Aber … ich glaube, dieses Jahr hatte Cara es in der Schule recht schwer, und anscheinend nimmt sie ihre Tabletten nicht mehr.«
Stanton hielt inne und blickte von ihren Notizen auf. »Woher wissen Sie das, Mrs Lange?«
Ihre Mutter zögerte ein wenig und sah ihren Vater an, der bestätigend nickte. Sie holte einen kleinen Seidenbeutel aus ihrer Handtasche.
»Gib sie mir!« Cara griff danach. Fitzgerald trat einen Schritt vor, und Cara ließ sich zurück auf ihren Stuhl sinken. Ihre Mutter fuhr fort.
»Als wir vorhin nach Hause gekommen sind, habe ich in Caras Schmuckschatulle einen Tablettenvorrat von circa drei Wochen gefunden.« Sie schüttete den Inhalt des Beutels auf den Tisch. Kleine blaue Pillen hüpften über die Tischkante und rollten in die dreckigen Winkel des Raums.
»Es ist alles Zoes Schuld! Sie hat das alles getan. Sie hat mich angefleht, sich bei mir verstecken zu dürfen!«, schrie Cara. Sie fuhr mit der Hand über den Tisch und verteilte die verbliebenen Tabletten quer über den Raum. Eine von ihnen rollte Stanton geradewegs in den Schoß. Sie starrte die Tablette ungerührt an, ehe sie sie mit Daumen und Zeigefinger auflas und zurück auf den Tisch legte.
»Liebling, Zoe ist nicht echt. Sie existiert nur in deinem Kopf.« Mom griff nach Caras Hand und drückte sie sanft.
Cara entriss sie ihr. Die Berührung ihrer Mutter war unerträglich sanft. »Wie kannst du behaupten, Zoe wäre nicht echt, wenn sie doch die letzten Wochen über in meinem Zimmer gelebt hat?« Sie sah ihre Eltern herausfordernd an und erwartete überraschte und verärgerte Blicke. Doch stattdessen sah sie in ihren Gesichtern nichts als Trauer. Ihr Vater warf den Polizeibeamten einen vielsagenden Blick zu. Stanton legte ihren Stift beiseite.
In diesem Moment krächzte das Funkgerät, das vor ihnen auf dem Tisch stand. Fitzgerald hob es an sein Ohr und lauschte aufmerksam. Cara versuchte,
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