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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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festgenäht sind, außerdem eine Rolle durchsichtiger Plastikschlauch, mehrere Stück rosa Schaumgummi
     und ein leerer Joghurtbecher. Interessant. Andrij wickelt das Getriebe wieder in das Wachstuch und verstaut es in einer Ecke
     der Schublade.
    Als er die Schublade schließt, hört er das Knirschen von Reifen auf dem Kies unter dem Fenster. Er zieht die Jalousie hoch.
     Vor dem Gebäude steht ein großer schwarzer Wagen. Eine elegante, blond gesträhnte Frau mit einem Pferdegesicht steigt aus
     der Beifahrertür. Auf der anderen Seite taucht ein großer, dunkelhaariger Mann auf, der aussieht wie – eine |323| andere Beschreibung fällt Andrij nicht ein – wie ein saftloser Adelsspross.
    »Leben Sie wohl, Mr.   Majevski. Ich wünsche Ihnen ein langes Leben und viel Freude mit Ihrem Getriebe. Für mich ist es höchste Zeit, in den Donbass
     zurückzukehren.«
     
    Ich wünschte, es würde bald regnen. Alle schwitzen und murren. Man spürt die Elektrizität in der Luft. Ich spüre sie sogar
     in meinem Körper. Ein richtiger Sturm würde die Hitze und die Spannung lösen. Yaketa ist irgendwohin verschwunden. Andrij
     bringt Mr.   Majevski das Getriebe zurück. Ich sitze im Speisesaal und warte auf ihn. Ich wünschte, ich könnte die Flügeltür zum Rosengarten
     aufmachen, aber sie ist abgeschlossen, damit keiner ausreißt. Hinter den Rosenbeeten beginnt der Kiesweg, der hinunter zu
     unserem geheimen Garten führt.
    Zweimal hat er mich gestern dort geküsst. Der erste Kuss war wunderschön, wie im Himmel, ich konnte kaum glauben, dass alles
     kein Traum war. Der zweite Kuss war fest und irdisch, und all meine Zweifel verschwanden. Ja, er ist der Richtige, eindeutig.
     Ich spüre immer noch seine Hände auf mir, heiß und stark, als hätte er mich schon in Besitz genommen. Und dieses schmelzende
     Gefühl in meinem Innern. Gestern dachte ich, es ist so weit: das erste Mal. Aber dann hat der lästige Hund dazwischengefunkt.
     Na ja, ich gebe zu, es war gut, dass er uns vor dem Feuer gerettet hat. Aber wie lange soll ich noch warten? Hoffentlich ist
     es endlich bald so weit.
    Wer hätte gedacht, dass ich so weit reisen würde, um meine Jungfräulichkeit am Ende nicht an einen romantischen Engländer
     mit Melone zu verlieren, sondern an einen Bergmann aus dem Donbass? Da wo ich herkomme, gibt es davon jede Menge – das Seltsame
     ist nur, dass wir uns in der |324| Ukraine wohl nie kennengelernt hätten. Wir kommen aus verschiedenen Welten, ich aus der fortschrittlichen, westlich orientierten
     orangen Welt, er aus dem primitiven, blauweißen industriellen Osten, diesem Relikt aus der Sowjet-Ära, die wir hinter uns
     lassen wollen. Und selbst wenn wir uns kennengelernt hätten, hätten wir uns wohl nicht viel zu sagen gehabt – eine Professorentochter
     und ein Bergmannssohn? Aber dass wir zusammen hier in England sind, macht alles ganz anders. Es ist, als hätte uns das Schicksal
     zusammengeführt. Wie Natascha und Pierre – sie kannten sich schon seit Jahren, aber es musste erst Krieg und Frieden geben,
     bevor sie einander mit neuen Augen sahen und begriffen, dass sie füreinander bestimmt waren.
    Ich gebe zu, es gibt ein paar Dinge, vor denen ich mich fürchte. Wird es wehtun? Werde ich wissen, was ich tun muss? Wird
     er mich danach immer noch lieben? Werde ich schwanger? Aber von solchen Ängsten darf man sich nicht abhalten lassen. Und noch
     etwas macht mir Sorgen, ein vages Gefühl, das schwer in Worte zu fassen ist, dabei ängstigt es mich von allem irgendwie am
     meisten: Bin ich danach immer noch derselbe Mensch?
    »Wovon träumst du?«
    Es war Yaketa. Sie hatte sich von hinten angeschlichen und hielt mir die Augen zu. Obwohl ich sie an der Stimme erkannte,
     sagte ich: »Andrij?«
    »Aha!« Lachend nahm sie die Hände von meinen Augen. »Von diesem seltsamen Typen also.«
    »Er ist nicht seltsam, Yaketa. Er ist der beste Mann auf der Welt.«
    Sie sah mich komisch an. »Findest du?«
    »Ich finde ihn wundervoll. Er ist ein Gentleman, und er ist aufmerksam und tapfer. Wie er uns alle vor dem Feuer gerettet
     hat – das war ganz typisch für ihn, weißt du? Das Einzige |325| , was mich stört, ist sein Hund, aber vielleicht gibt er ihn ja irgendwann weg. Und weißt du, was ich am liebsten an ihm mag,
     Yaketa? Wenn er sagt: ›Du hast recht, Irina.‹ Das können nicht viele Männer.«
    »Ich finde trotzdem, dass der ukrainische Millionär vielleicht besser für dich wäre, Irina. Andrij hat so was

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