Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
ist, dass wir, das Volk, uns verändert haben. Keiner kann mehr glauben, er könnte mit uns machen, was
     er will. Es passiert nur einmal im Leben |315| , dass ein Land nach der Freiheit greift, und in so einem historischen Moment kann man entweder mitmachen, oder man steht
     am Rand und sieht zu.« Waren das die Worte von Papa oder die von Switlana Surocha?
    »Was nutzt die Freiheit ohne Öl und Gas?«, sagte er böse.
    »Mit der Freiheit können wir uns vielleicht der Europäischen Union anschließen.«
    »Die interessieren sich doch gar nicht für uns, Irina. Denen geht es nur ums Geschäft.« Er versuchte mich mit seinem lächerlichen
     Donbass-Dialekt zu belehren, als wäre ich ein Vollidiot.
    »Und wer, glaubst du, hat für die Busse gezahlt, die euch von Donezk nach Kiew gebracht haben? He?«
    »Das ist Propaganda der westlichen Medien. Du bist so naiv, Irina, du glaubst alles, was dir irgendein Mobilfonheini erzählt.
     Ihr dachtet, ihr wärt die Hauptdarsteller, dabei wart ihr nur Statisten.«
    »Aber zu Fuß bist du wohl nicht gegangen, oder? Du Donbass-Bergmann?«
    »Ha! Da spricht das bürgerliche Schulmädchen. Typisch.« Sein Ton war messerscharf und triefte vor Sarkasmus.
    »Ich bin kein Schulmädchen!«
    Ich weiß nicht, was über mich kam in diesem Moment, aber ich hätte ihm am liebsten eine geschmiert. In sein selbstgefälliges
     dummes Gesicht geschlagen. Dieses blöde überlegene Grinsen – was gab es da überhaupt zu grinsen? Ich wollte, dass er mit dem
     Grinsen aufhörte. Unwillkürlich holte ich mit der Hand aus. Doch er packte mich am Handgelenk. Und ließ nicht los. Dann zog
     er mich an sich, nahm mich in die Arme, und im nächsten Moment küsste er mich, auf den Mund, mit den Lippen, mit der Zunge.
     Er drückte mich fest an sich, so fest, dass ich keine Luft mehr bekam, und mein Herz flatterte wie ein Vogel, der gegen einen
     Sturm |316| ankämpft. Und der Himmel und die Wolken drehten sich über mir, bis ich nicht mehr wusste, wo ich war. Aber mein Herz wusste,
     wo ich war – genau da, wo ich sein wollte.
     
    Es ist Nacht. Die Wolken haben sich verzogen, und durch das spitze Giebelfenster über dem Eisenbett kann Andrij den Jäger
     Orion sehen, der hell am südlichen Himmel leuchtet, mit seinem glitzernden Gürtel und dem Schwert, und daneben den strahlenden
     Sirius, den treuen Hundsstern. Am Fußende auf dem Boden liegt sein eigener treuer Hund und schnauft im Schlaf.
    Irina ist im Bad am Ende des Korridors und duscht. Sie ist schon seit einer halben Stunde da drin. Was macht sie so lange?
    Bis jetzt läuft alles planmäßig. Zufriedenstellend. Er hat aus dem zweiten in den dritten geschaltet, ohne dass ihm der Gang
     rausgeflogen ist, und jetzt muss er nur noch sanft Gas geben, sachte in den vierten schalten und aufpassen, dass er nicht
     plötzlich im Rückwärtsgang landet. Nein, Andrij Palenko, es ist mehr als zufriedenstellend, es läuft phantastisch. Dieses
     Mädchen ist kein Zaz, diese Irina – sie ist süß und anschmiegsam, in einem Moment schmilzt sie in deinen Händen wie eine Schneeflocke,
     und im nächsten verbrennt sie dich wie Feuer, bis du nicht mehr weißt, ob dir heiß oder kalt ist; du weißt nur, dass du mehr
     willst. Und selbst wenn sie noch nicht weiß, was passieren wird, ihr Körper scheint schon zu wissen, dass er dir gehört; du
     spürst es, und sie spürt es auch. Wie ein Garten, der darauf wartet, dass der Regen kommt.
    Und obwohl dir klar ist, dass ihr noch viele Meinungsverschiedenheiten zu verhandeln habt – denn das Mädchen, Irinotschka,
     sie ist noch so jung und denkt, sie weiß alles; sie ist sehr behütet aufgewachsen, Bourgeoisie, und hat noch |317| nicht viel Erfahrung, und sie muss noch so viel lernen – ganz ehrlich, manchmal redet sie ziemlich dummes Zeug. Aber du hast
     es nicht eilig – du hast eine Ewigkeit, um sie umzuerziehen. Sie kann zwar stur sein und unberechenbar, aber unintelligent
     ist sie nicht. Im Gegenteil. Sie fängt schon an, sich für Dinge wie Ferraris zu interessieren, und wie sie das Problem mit
     dem Getriebe gedeichselt hat! Ja, du hast eindeutig die richtige Wahl getroffen.
    Andrij sieht in die Sterne. Wofür braucht sie so lange? Seine Gedanken wandern zu den Ereignissen des Tages zurück, und er
     denkt ohne besonderen Grund: Zimmer sechsundzwanzig, Mrs.   Gayles Zimmer, ist genau unter ihnen, zwei Etagen tiefer. Ob sie da unten immer noch raucht? Fast bildet er sich ein, er würde
     ganz schwach Rauch

Weitere Kostenlose Bücher