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Caravan

Titel: Caravan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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in den Mund schaufelt und auf fast rohen Karottenstückchen herumkaut, blickt er
     ab und zu auf, um ihre Augenbrauen anzusehen. Unablässig trommelt der Regen auf das straff gespannte Segeltuch, und darunter
     hüllt der Rauch den Kreis der Gesichter ein. Windhover sitzt neben Birch auf der anderen Seite des Feuers. Jetzt hat sie die
     Brauen nachdenklich zusammengezogen. Es sind wunderschöne Brauen. Sie löffelt die Pampe erstaunlich schnell und mit sichtlichem
     Vergnügen in sich hinein.
    Bis auf die Brauen ist sie nicht sehr attraktiv, denkt er. Ihr Körper unter den dicken, schlammfarbenen Tüchern ist unförmig
     und plump – ehrlich gesagt, gar nicht wie der Körper einer Frau. Vielleicht   …? Nein, bei so was irrt er sich doch nicht. Windhover hat seinen Blick nicht erwidert.
    »Das schmeckt gut, Heather«, sagt sie und ignoriert Andrij vollkommen. »Was ist das?«
    »Linsen- und Karottengulasch.« Heather sieht zufrieden aus. »Mit Paprika wäre es noch besser.«
     
    Zum Abendessen gab es den gleichen geschmacklosen unterhosen-farbenen Brei wie am Mittag, nur dass diesmal kleingeschnittene
     Karotten darin herumschwammen. Unangenehm war auch, dass man von dem Zeug Blähungen bekam, was sich sogar hier draußen im
     Freien bemerkbar machte, vor allem bei den Hunden. Als Heather mir einen Nachschlag anbot, lehnte ich ab, aber ich lobte sein
     Essen, weil ich seine Gefühle nicht verletzen wollte. Er war zwar nicht Mr.   Brown, aber er war trotzdem sehr nett.
    |355| Nach dem Essen sammelte Rock die leeren Schüsseln ein, füllte sie mit dem restlichen Gulasch   – Gulasch nennen sie das Zeug! Offensichtlich haben sie noch nie richtiges Gulasch gekostet! – und stellte sie den Hunden
     hin, die sich darüber hermachten. Meines Erachtens waren die Hygienebedingungen in diesem Camp völlig unzureichend, und ich
     wunderte mich, dass die Behörden es nicht dicht gemacht hatten. Zum Waschen gab es nur den kleinen Bach, außerdem ein viel
     zu flaches Plumpsklo, das mit ein paar Zweigen abgeschirmt war, wo man auf einem Brett über dem widerlichen, gärenden
nushnik
früherer Kriegermahlzeiten balancieren musste. Jemand hatte auf ein Schild geschrieben:
VORSICHT SPRITZGEFAHR
.
    Es wurde dämmrig, und die Luft war kühl und feucht. Ich nahm die Schüsseln und ging zum Bach hinunter, um den Hundesabber
     abzuspülen (die anderen sahen mir überrascht nach, offensichtlich hielten sie die Schüsseln bereits für blitzsauber), und
     dann wusch ich mich mit Mrs.   McKenzies parfümierter Seife, weil ich wusste, dass es heute Nacht passieren würde. Schließlich kletterte ich die Strickleiter
     hinauf in den Wohnwagen.
    Er war noch viel kleiner als der Frauenwohnwagen auf dem Erdbeerfeld, und er war rund wie ein Ei. Drinnen war nicht viel Platz,
     es reichte gerade für das ausgeklappte Doppelbett. Ich konnte nicht sehen, wie sauber das Bettzeug war, und dachte, es war
     besser, nicht nachzuschauen. Ein Vorteil hier oben im Baum war jedenfalls, dass die Hunde nicht hochkonnten. Auf einem niedrigen
     Schränkchen neben dem Bett stand ein Marmeladenglas mit getrockneten Blumen, die einen angenehmen pulverigen Duft verströmten.
     Ein paar Kerzenstummel steckten in leeren Weinflaschen, und es waren sogar Streichhölzer da. Ich zündete eine Kerze an, und
     sofort war die kleine Höhle von weichem, flackerndem |356| Licht erfüllt. Jenseits des Lichtkreises zuckten und zitterten die Blätter in der Dämmerung vor dem Fenster. Sturmwolken ballten
     sich über den Hügeln zusammen. Von unten hörte ich die Stimmen der Krieger, sie unterhielten sich und jemand spielte Gitarre.
     Ich legte mich auf das Bett und wartete.
    Aus irgendeinem Grund musste ich an meine Eltern denken. Hatte meine Mutter in der Hochzeitsnacht genauso dagelegen und auf
     meinen Vater gewartet wie ich jetzt? War es romantisch? Hatte es wehgetan beim ersten Mal? War sie schwanger geworden? Ja,
     das war sie. Aus dem Samen, der in jener Nacht gesät wurde, war ich entstanden. Ich wuchs auf im Schutz der verflochtenen
     Zweige ihrer Liebe, mit der sie mich nährten, bis aus dem Sprössling ein Baum wurde – Irinotschka   –, der allein stehen konnte. Liebte er sie danach immer noch? Ja, aber nur eine Zeitlang. Vorübergehend. Vorläufig. Bis Switlana
     Surocha vorbeikam. Zum ersten Mal spürte ich Wut auf meine Eltern. Warum konnten sie nicht noch eine Weile zusammenbleiben,
     in Liebe verflochten, und mir Geborgenheit geben, wenigstens, bis ich

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