Caravan
gebetreiche Kapelle, die so schön dalag in Stille und Licht, und wir baten
den Herrn, unsere Schwester Irina zu entbinden, die von Satans Spross entführt wurde, und niemand weiß von ihrem Befindlichkeitsort.
Und ich habe auch für den Gottlosen gebetet, der durch das Fischernetz der Liebe schlüpfte. Nach den Gebeten sagten wir alle
Amen, sogar der Hund. Ich wünschte, du könntest diesen Hund sehen, der so vortrefflich ist in seiner Frömmigkeit. Denn in
dieser stillen, schimmernden Kapelle spürte ich die Gegenwart des Herrn, der dicht bei uns steht und unsere Gebete erhört,
und ich spürte Seinen Atem in der kühlen, steinigen Luft.
Dann erscholl Orgelmusik, und ein Chor sang
Schafe können sicher weiden
, welches mich tief rührte, denn die Kapelle ist dem heiligen Augustin geweiht. Da klopfte der gute Pater Augustinus aus Zomba
an die Tür meiner Erinnerung mit seinen freundlichen Taten, und meine Augen tränten im Gedenken an die Heimat.
Nach den Gebeten in der Kathedrale fühlt Andrij sich besser, mehr im Frieden mit sich. Erst als sie wieder beim Wohnwagen
sind, merkt er, dass sie Emanuel verloren haben. Er kehrt in die Kirche zurück, um nach ihm zu suchen, aber Emanuel bleibt
verschwunden. Irgendwo in der Kathedrale spielt eine Orgel und ein Chor singt. Von der Musik angelockt folgt Andrij einem
steinernen Gang mit uralten Glasfenstern, die bunte Lichtflecken auf den Boden werfen. Es findet gerade ein Gottesdienst statt,
und dort, in der ersten Reihe der versammelten Gemeinde, entdeckt er Emanuel.
Er hat die Augen geschlossen und sieht die schiefen Blicke der anderen nicht, aber sein Mund ist weit geöffnet, überraschend |91| rosa in seinem jungen braunen Gesicht, und er singt mit süßer hoher Stimme mit dem Chor. Und während er singt, strömen ihm
Tränen über die Wangen. Es ist etwas so Verwundbares und doch Starkes an ihm, an seinen geschlossenen Augen, dem offenen Mund,
den Tränen und der Musik, dass Andrij der Atem stockt. Wer ist dieser junge Mann? Andrij hat das Bedürfnis, ihn in den Arm
zu nehmen, aber er hält sich zurück, so wie man zögert, einen Schlafwandler zu wecken, aus Angst, der plötzliche Einbruch
der Wirklichkeit bricht ihm das Herz.
Eine Erinnerung aus seiner Kindheit taucht vor ihm auf – der Kreis entrückter Gesichter während eines geheimen orthodoxen
Gottesdienstes tief im Wald in einer Schlucht. Seine Großmutter hatte ihn mitgenommen. Der Priester sang die Liturgie, als
er ihnen die Stirn mit Weihwasser benetzte, Vergebung für alle Sünden versprach und Trost für die zermürbende Not des täglichen
Lebens. »Kyrie eleison. Herr, erbarme Dich.«
Sein Vater hat immer gesagt, Religion sei Opium für das Volk und es sei eine Schande, dass seine Mutter an so einen Quatsch
glaubte, wo sie sonst in jeder Beziehung eine gute Frau und eine gute Kommunistin war.
In der Stille, nachdem die Musik verklungen ist, geht er zu Emanuel und berührt seinen Arm. Emanuel öffnet die Augen, sieht
sich um und lächelt.
»Ndili Bwino, mein Freund.«
Nach den Gebeten fühlt sie sich angenehm rechtschaffen, und nach so viel Rechtschaffenheit ist es nur natürlich, dass sie
Hunger und Durst hat. Was Jola anbelangt, ist die vorrangige Dringlichkeit, wenn sie nach Dover kommen, das Mittagessen.
Aber anders als in Canterbury, wo alles geöffnet war, sind |92| in Dover alle Läden geschlossen. Schließlich finden sie in einer Seitengasse ein kleines, düsteres Geschäft mit zwei schmalen
Gängen, wo es nach Gewürzen riecht und nach Moder, nicht sehr angenehm. Die Inhaberin, eine füllige Inderin in Jolas Alter,
trägt einen grünen Sari und hat einen roten Punkt auf der Stirn. Jola mustert sie neugierig. Die Frau ist nicht unattraktiv,
auf ihre orientalische Art. Nur der rote Fleck scheint irgendwie falsch zu sitzen. Wahrscheinlich gehört er auf die Wangen.
Natürlich entscheidet Jola als Vorarbeiterin über den Einkauf, doch im Interesse der Harmonie darf jeder einen Wunsch äußern.
Sie einigen sich auf fünf Laib geschnittenes Weißbrot (besser als das grobe polnische Brot, und ziemlich günstig), Margarine
(moderner als Butter, und billiger), Aprikosenmarmelade (Tomasz’ Lieblingssorte), Teebeutel und Zucker (bisher haben sie die
alten Teebeutel getrocknet und wiederverwendet, aber irgendwann ist Schluss), Bananen (Andrijs Wahl, typisch Ukrainer), gesalzene
Erdnüsse (Emanuels besonderer Wunsch), eine große Tafel
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