Caravan
irgendwie, da gibt es so viel Futter, aber die schaffen’s einfach
nicht mehr hin. Na ja, sind ja nur fünf Wochen vom Küken bis zum Laster. Fünf Wochen! Nicht viel Zeit, um sich ’ne Persönlichkeit
zuzulegen, oder?«
»Persönlichkeit?«
»Ja, genau, das will ich mir zulegen, Persönlichkeit.«
Der nächste Lastwagen kommt und zuckelt mit der nächsten Fuhre kakelnden Elends durch die baumbestandenen Straßen davon. Zeit
für die nächste Pause. Neil raucht sorgfältig die nächste halbe Zigarette. Die Portugiesen-Brasilianer jagen einander zum
Wasserhahn und spritzen herum, lachen und drücken sich gegenseitig den Kopf unters Wasser. Tomasz trinkt aus dem Hahn, dann
wäscht er sich Gesicht und Haare unter dem fließenden kalten Wasser. In diesem Job sind lange Haare und ein Bart wirklich
kein Vorteil. Wenn er nur ein Stück von Jolas duftender Seife hätte.
»O je.« Neil sieht hinüber zu den Portugiesen-Brasilianern, die immer wilder herumtoben. »Dudelsack. Mick, du schaust lieber
weg.«
Aber Tomasz sieht wie gebannt hin.
Einer der anderen, der mit dem irren Blick, hat sich ein zerzaustes Huhn mit gebrochenen Beinen geschnappt und es sich unter
den Arm gesteckt, so dass der Kopf hinten unter seinem Ellbogen raussieht. Dann schleicht er sich von hinten |164| an seinen Freund heran, der sich gerade bückt, um eine Kiste zuzumachen. Als der sich wieder aufrichtet, drückt er mit dem
Ellbogen auf das Huhn wie auf einen Dudelsack, und ein Strahl Scheiße spritzt dem Huhn aus dem Po und trifft den andern im
Gesicht. Das Huhn kreischt und versucht sich freizustrampeln, während ihm die Scheiße noch aus dem Hintern rinnt. Der Getroffene
brüllt vor Zorn und wischt sich mit den Händen über das Gesicht, aber damit verteilt er das Zeug nur noch mehr. Dann greift
er selbst nach einem Huhn, steckt es sich rückwärts unter den Arm und drückt die Kreatur mit brutalen Pumpbewegungen in Richtung
seines Freundes aus. Das Huhn stößt einen langen Schmerzensschrei aus. Exkremente spritzen. Der Ältere geht dazwischen und
brüllt die beiden an, doch er rutscht in der Hühnerkacke aus, landet im Dreck und kommt nicht mehr hoch. Der Vierte steht
daneben, hält sich den Bauch und lacht Tränen. Auch Neil steht da und prustet hysterisch, Tränen laufen ihm übers Gesicht.
Zu seinem eigenen Entsetzen stellt Tomasz fest, dass auch er lacht.
Endlich rappelt sich der Vorarbeiter hoch und lässt eine Schimpftirade auf Portugiesisch los. Missmutig setzen die anderen
ihre Arbeit fort. Eine unterschwellige Aufregung liegt in der Luft, als die Zahl der Hühner kleiner wird und das Fangen der
übriggebliebenen schwieriger. Es ist unglaublich heiß, die Scheiße auf dem Boden dampft wie ein Misthaufen, aber sie dürfen
die Hallentür noch nicht öffnen. Die letzten Hühner sind die zähen Vögel, die Kämpfer. Die Fänger müssen mehr rennen, und
sie schlittern schreiend und fluchend durch den Dreck, als sie versuchen, die Hühner zu umzingeln.
Am Ende ist nur noch ein Huhn übrig, ein großer schlauer Vogel, der mit erstaunlicher Geschicklichkeit ausweicht und Haken
schlägt, als sie zu sechst auf ihn losgehen. Irgendwann |165| schafft es einer der Portugiesen-Brasilianer – der Fußballfan mit den schönen Zähnen –, dem Huhn einen Tritt zu versetzen, dass es durch die Luft fliegt. Seine Flügel sind zu schwach für den schweren Körper,
und als es herunterplumpst, kommt der zweite Portugiesen-Brasilianer angerannt und kickt es mit voller Wucht wieder hoch.
Kreischend trudelt das Huhn durch die Luft. Überall sind Federn. Der ältere Mann brüllt die beiden an, aber das Spiel ist
zu spannend. Mit einem Tritt befördert der Erste das Huhn in den Futtertrog, reißt die Arme hoch und schreit: »Tor! Tor!«
Benommen rappelt sich der zerrupfte Vogel auf und rennt hinkend los. Er läuft auf Tomasz zu. Dann bleibt er plötzlich stehen
und sieht Tomasz an, seine seltsamen runden Augen blinzeln. Tomasz erwidert den Blick. Sie stehen einander gegenüber, Mensch
und Huhn. Dann beugt Tomasz sich mit einer schnellen Bewegung vor, packt das Tier, hält es mit beiden Händen fest und rennt
quer durch die Halle auf die Tür zu. Er reißt die Tür auf und stürzt hinaus. Das Huhn an die Brust gedrückt, läuft er über
den Hof auf einen niedrigen Maschendrahtzaun zu, hinter dem ein Graben mit einer Hecke ist. Er beugt sich über den Zaun und
setzt das Huhn auf der anderen Seite
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