Carina - sTdH 3
eines
gewissen Lord Harry Desire mit Mißtrauen aufnehmen und ihre üblichen
vorwitzigen Fragen stellen würde.
Aber nie
und nimmer hätte er einen offenen Aufstand erwartet. »Nein, Papa«, sagte Carina
entschlossen. »Ich bleibe hier.«
»Warum?« fragte der Vikar, wobei er beinahe
aufstampfte. »Weil es meine Pflicht ist, zu Hause zu bleiben und mich ummeine
Schwestern zu kümmern«, antwortete Carina mit dem Ausdruck einer
Heiligen auf ihrem Gesicht, der an Minerva in ihrenschlimmsten
Momenten erinnerte.
»Quatsch«,
sagte der Vikar. »Du glaubst wohl, ich nehme dir das ab. Da steckt ein Mann
dahinter. Du hast ihn dir wohl angelacht, kaum daß ich aus dem Haus war?«
»Da ist
kein Mann, Papa«, sagte Carina. Wie in aller Welt konnte sie so einem Vater,
der in seinem ganzen bisherigen Leben nicht einen höheren geistigen Gedanken
gehabt hatte, die Reinheit ihrer Freundschaft mit Guy Wentwater klarmachen? Wie
konnte sie ihm erklären, wie aufregend es war, Ideen miteinander zu teilen,
oder wie ihm das süße zärtliche Aufkeimen einer Liebe schildern, die so sehr
erhaben über die gemeinen Triebe der Männer war?
Sie dachte
an die Begegnung auf dem Friedhof, an seine ernste tiefe Stimme, an die Art,
wie seine blauen Augen den ihrigen in einer so geraden und aufrichtigen Weise
begegnet waren.
»Es hat
keinen Zweck, mich einzuschüchtern«, fuhr sie fort. »Du hast eine Heirat für
mich in die Wege geleitet, und alles bloß, weil du gutes Geld für deine
dämliche Hundemeute verplempert hast.«
»Was!« Niemals hätte der Vikar gedacht, daß
eine seiner Töchter eine solch blasphemische Bemerkung machen würde.
Sie standen
einander im Garten des Pfarrhauses gegenüber und maßen sich über ein Blumenbeet
hinweg mit finsteren Blicken; ihr Atem stieg in der kalten Luft wie Rauch auf.
»Ich hole
meine Peitsche«, schrie der Vikar grimmig. Er machte auf dem Absatz kehrt und
ging ins Pfarrhaus.
Carina
erstarrte zur Salzsäule. Er würde es nicht wagen!
Aber der
Vikar erschien bereits wieder, seine Peitsche schwingend.
Carina
drehte sich um und rannte.
Ihr nach,
unter Hallo und Geschrei, kam ihr Vater. Gekleidet in ein lächerlich dünnes
Musselingewand, mit ebenso dünnen Seidenschuhen – denn Carina hatte sich in
der Hoffnung, daß Guy Wentwater vorbeikäme und sie sähe, im Garten aufgehalten
–, nahm sie ihre Röcke hoch und floh die Straße hinunter, der Vikar in einer
wilden Verfolgungsjagd dicht hinter ihr.
Carina
kletterte über einen Zauntritt an der Straße und raste über ein frisch
gepflügtes Feld, wobei sie sich wie ein gejagter Fuchs fühlte.
Die Schreie
des Vikars verloren sich allmählich, aber das bedrohliche Verhalten ihres
Vaters schockierte sie noch dermaßen, daß sie ihren Schritt nicht verlangsamte.
Ihr Kleid
war zerrissen und schmutzig, und ihre seidenen Schuhe ruiniert. Ihr rotes Haar
hing ihr ins Gesicht, als sie über die hartgefrorenen Felder hinter dem Dorf
stolperte. Sie lief in Richtung Herrenhaus, wo ihr Onkel, Sir Edmund, lebte, da
sie instinktiv wußte, daß das der letzte Ort war, wo der Vikar sie suchen
würde.
Sie
kletterte über die moosbewachsene Mauer, die den Grund und Boden des Onkels
begrenzte, und hoffte, daß keiner seiner Wildhüter sie erschoß, weil er sie für
einen Wilderer hielt.
Der Wald
auf der anderen Seite war friedlich und dunkel und still. Carina lauschte
angestrengt, konnte jedoch nichts mehr von der lauten Verfolgungsjagd ihres
Vaters hören. Sie stand still, ihr Herz klopfte laut. Was passierte wohl, wenn
sie ins Pfarrhaus zurückkehrte, denn zurück mußte sie ja. Und da war nicht
einmal eine Minerva, die für sie Fürbitte einlegen konnte.
Plötzlich
erfüllte sie Haß gegen ihren Vater; sie wäre fast daran erstickt. Warum konnte
er sich nicht wie ein ganz normaler Geistlicher benehmen, wie man es von ihm
erwartete? Der Vikar von St. Ann's in Hopeminster war ein friedlicher,
gelehrter, belesener Mann, ganz anders als ihr Vater; wenn der nicht nach
Moschus roch, roch er nach Stall, und ständig war er voller Hundehaare.
Das ganze
Pfarrhaus riecht nach nassem Hund, dachte Carina wütend.
Auf der
einen Seite war eine ganz neue Liebe – zitternd, unschuldig und zerbrechlich,
auf der anderen Seite war der Vikar, der die Umgebung von Hopeworth mit der Peitsche
in der Hand nach ihr absuchte.
»Keiner
versteht mich außer Guy«, flüsterte Carina den gleichgültigen Bäumen zu.
Verzweifelt
sank sie auf die Knie und betete zu Gott um Hilfe.
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