Carina - sTdH 3
von Lord Harry sah, wurde er an all die
Hunde erinnert, die er sich gekauft hätte, wenn der Handel zustande gekommen
wäre.
Der Vikar
von Chalton St. Ann's, sechs Meilen von Hopeworthentfernt,
wollte gerade seine Hunde verkaufen, um seine Ausgaben abzubauen. Nun mußten
sie wohl in die Hände eines glücklicheren Jägers übergehen.
Dem Vikar
entrang sich ein schwerer Seufzer. Gottes Wege waren nicht leicht zu
durchschauen.
Carina ließ
einen trockenen Schluchzton hören, den sie ohne großen Erfolg in ein Niesen zu
verwandeln suchte. Der Vikar seufzte noch einmal. Je eher er ihr sagte, daß sie
sich wegen der Verlobung keine Gedanken machen sollte, desto besser.
»Die Stadt
ist voller Armitages«, sagte der Vikar, als er eine Zeitlang schweigend
dagesessen hatte und sich verpflichtet fühlte, seinen Teil zur Unterhaltung
beizusteuern.
»Edwin und
seine blatternarbigen Töchter waren schon hier, als wir ankamen. Ich hatte
heute früh erwähnt, daß wir hierherfahren würden, deshalb haben sie
wahrscheinlich versucht, uns aufzuspüren.«
»Warum?«
fragte Lord Harry.
Der Vikar
nahm eine Prise Schnupftabak, während er sich eine Antwort zurechtlegte. Die
Wahrheit war – wie er sehr wohl wußte –, daß sein verwünschter Bruder immer
noch versuchte, Lord Harry für eine seiner Töchter zu kapern. Aber wenn Carina
schon nicht das Desire'sche Vermögen – oder vielmehr das Vermögen, das der Lord
erbte, wenn sein Onkel das Zeitliche segnete – bekam, dann wollte der Vikar
doch verdammt sein, wenn es ausgerechnet Josephine oder Emily in die Klauen
geriet. Sie sind geradezu zum Abgewöhnen, dachte er. Und wie abscheulich sie
immer gekleidet waren. Erstaunlich, daß ihre Mutter, die doch selbst recht
elegant war, wenn man ihre farblosen kalten Augen und ihren verkniffenen Mund
übersah, sie nicht besser anleitete.
»Warum?«
fragte Lord Harry noch einmal.
»Oh, ja
natürlich«, sagt der Vikar. »Äh ... nun, weil ich mich so modisch kleide und
Edwin etwas von einem alten Hagestolz an sich hat. Er versucht mich
nachzuahmen, haben Sie das nicht bemerkt?«
»Eigentlich
nicht«, erwiderte Lord Harry verdutzt. Seine Miene war freundlich und
gleichmütig, aber irgendwie fühlte sich derVikar
unbehaglich unter diesen kindlichen Blicken und zog an den Enden seiner Weste,
die über seinen Bauch hinaufgerutscht war und ein ganzes Stück von seinem
hervorquellenden Hemd sehen ließ.
»Macht auch
nichts«, sagte er hastig.
Mittlerweile
spürte Carina, daß sie erstaunlich hungrig war. Sie war davon überzeugt
gewesen, daß die Tragödie ihr jeden Appetit geraubt hätte. Aber es ging ihr
eigentlich ganz gut, und als sie sich an einer Geflügelpastete, einigen
Scheiben Schinken, etwas Fisch und den unvermeidlichen Kartoffeln, die jeden
Gang begleiteten, gütlich getan hatte, war sie überzeugt, die Nacht, die
schließlich und endlich doch kommen mußte, überstehen zu können. Einige Gläser
schweren Weins taten das ihre, um einen kleinen Hoffnungsschimmer aufkommen zu
lassen, der sich allmählich zu einer Flamme entwickelte.
Wie konnte
sie Guy nur in Gedanken so untreu sein? Natürlich war irgend etwas wirklich
Ernstes vorgefallen, das ihn abgehalten hatte zu kommen. Was, wenn er krank
war?
Sie bekam
wieder Farbe, als ihre Müdigkeit und Verzweiflung von ihr wichen.
Mit der
Spannkraft der Jugend brachte sie es fertig, aus den tiefsten Tiefen der
Hoffnungslosigkeit in die schwindelerregenden Höhen der Zuversicht
emporzusteigen. Armer Guy! Wie unglücklich er sein mußte. Wie sein Herz vor
Mitleid mit ihr schmerzte.
Die Damen
waren eingeladen, zu Portwein und Nüssen bei den Herren zu bleiben; die kleinen
Mädchen verdünnten ihren Wein mit heißem Wasser.
Carina
fühlte sich allmählich schläfrig und zufrieden. Die Welt war wunderbarerweise
wieder in Ordnung.
Als sie zum
Aufbruch bereit waren, nahm Carina den Vorschlag, sie solle mit Lord Desire
nach Hause fahren, ohne Widerrede an, obwohl er diesmal von Mrs. Armitage und
nicht vom Vikar kam.
Dieser half
ihr gerade in den Zweispänner, als sie plötzlich erstarrte und beinahe
rückwärts fiel. Zwei rote Flecken brannten auf ihren Wangen.
Aus dem
Gasthaus kamen Sir Edwin, Lady Edwin und ihre beiden Töchter – und Guy
Wentwater. Sie hatten offensichtlich ebenfalls zu Abend gegessen.
Guy hielt
Emilys Hand und flüsterte ihr etwas ins Ohr, und sie kicherte und wand sich,
während ihre Eltern sie lächelnd gewähren ließen, Josephine schmollte.
Die
Gesellschaft
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