Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
verlogenen, asozialen Mädchens so viel hatte durchstehen müssen.
Als Wad auf dem Weg zum Ausgang an Nete vorbeikam, nickte er ihr kurz zu, sodass das Gericht seine Großmut erkennen konnte, aber den Triumph und den Hohn in seinen Augen sah nur Nete. Etwa im selben Moment überantwortete der Richter das siebzehnjährige unmündige Kind den Behörden und damit der sogenannten Schwachsinnigenfürsorge. Damit sollte gewährleistet werden, dass dieses unmoralische Geschöpf endlich diszipliniert und erzogen würde, um später einmal als ein besserer Mensch den Interessen des Allgemeinwohls dienen zu können.
Zwei Tage vergingen, dann wurde Nete den Keller'schen Anstalten in Brejning überstellt.
Dort erklärte ihr der Oberarzt, dass er selbst sie nicht direkt als abnorm betrachte. Sollte sich erweisen, dass sie nicht schwachsinnig sei, habe er vor, an den Gemeindevorsteher zu schreiben, dass er sie aus der Anstalt entlassen wolle.
Aber daraus wurde nichts.
Dafür sorgte Rita.
23
November 2010
D er Gründungsparteitag von Klare Grenzen gestaltete sich als wahres Fest, und Curt Wad blickte mit Stolz und einem seltenen Anflug von Tränen auf die versammelten Menschen.
Jetzt, im späten Herbst seines Lebens, war es endlich gelungen, die Kräfte zur Bildung einer politischen Partei zu bündeln, und nun standen ihm fast zweitausend rechtschaffene Dänen gegenüber und applaudierten ihm. Also gab es Hoffnung für das Land seiner Söhne. Wenn nur Beate an seiner Seite stehen könnte.
»Gott sei Dank hast du diesen Journalisten ausgebremst, ehe er mit seiner Hetzkampagne Schaden anrichten konnte«, sagte der Vorsitzende einer der Regionalgruppen.
Curt nickte. War man zum Kampf für Gedanken bereit, die Widerstand und Feinde auf den Plan riefen, dann war es wichtig, Männer in Reichweite zu haben, die zupacken konnten, wenn es die Situation erforderte. Dieses Mal hatte es auch ohne sie geklappt, aber für andere Gelegenheiten, und die würden garantiert kommen, hatte er seine Leute fürs Grobe.
Glücklicherweise hatte sich die Situation in diesem Fall schnell entspannt. Der Rest des Parteitags war angenehm verlaufen, mit einer guten Präsentation des Wahlprogramms und überzeugenden Auftritten der Kandidaten für die Folketing-Wahl.
»Curt Wad, Sie sind dabei, eine faschistische Partei aufzubauen, nicht wahr?«, hatte der Journalist gerufen, während er aus der Menge heraus sein Diktafon auf Wad richtete.
Curt hatte nur den Kopf geschüttelt und gelächelt, so machte man das, wenn einem das Volk zu nahe kam.
»Nein, ganz gewiss nicht«, hatte er zurückgerufen. »Aber lassen Sie uns unter ruhigeren Umständen miteinander reden. Dann werde ich Sie schon auf den rechten Weg führen und Ihnen erzählen, was Sie wissen möchten.«
Kurz bevor die Wachleute den Mann packen wollten, konnte Curt Wad ihnen gerade noch einen warnenden Blick zuwerfen, sodass sie sich zurückzogen und die Menge sich wieder um den Journalisten schloss. Gegen die gewöhnlichen Idioten und Querulanten musste man sich verteidigen, aber gegen Journalisten bei der Arbeit durfte man keinesfalls handgreiflich werden, das würde er ihnen noch beibringen.
»Wer war der Mann?«, fragte er Lønberg, nachdem sie die Türen zum Versammlungsraum hinter sich geschlossen hatten.
»Unbedeutend. Einer von der ›Freien Presse‹, die Geschütze fürs Hinterland sammelt. Søren Brandt heißt er.«
»Dann weiß ich, wer das ist. Behaltet ihn im Auge.«
»Das geschieht schon.«
»Ich meine, behaltet ihn richtig im Auge.«
Lønberg nickte und Curt klopfte ihm kurz auf die Schulter. Anschließend öffnete er die Tür zu einem kleineren Versammlungssaal. Hier hatte sich ein exklusiver Kreis von gut hundert Männern eingefunden und wartete auf ihn.
Curt betrat ein kleines Podium und überblickte die Schar seiner treuesten Anhänger. Die setzten sich aufrecht hin und klatschten. »Na, meine Herren«, sagte er, »hier also weilt die Elite und trotzt dem Rauchverbot?«
Breites Lächeln vieler, einer beugte sich vor, um Curt eine Zigarre anzubieten. Der wehrte das Angebot lächelnd ab. »Vielen Dank, aber man muss auf die Gesundheit achten. Man ist ja trotz allem keine achtzig mehr.«
Sie lachten herzlich. Es war schön, unter ihnen zu sein. Sie waren die Eingeweihten. Menschen, auf die man sich verlassen konnte. Tüchtige Männer, die sich meist schon seit vielen Jahren engagierten. Leider würden sie das, was er ihnen nun zu sagen hatte, nicht gern
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