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Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung

Titel: Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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wandten, schüttelte Curt Wad den Kopf. Schließlich stand er auf und gab allen Anwesenden die Hand.
    Er durfte also ohne Weiteres gehen.
    Zwei Stunden später saß sie auf einem Bett in einem kleinen Zimmer in einem Haus, von dem sie nicht wusste, wo es sich befand.
    Sie sagten, dass der Fall schnell verhandelt und sie einen Rechtsbeistand erhalten werde. Sie sagten auch, dass die Pflegefamilie ihre Sachen schicken werde.
    Sie wollten also nicht, dass sie wieder auf den Hof kam.

    Es waren einige Wochen vergangen, ehe die Anklage gegen Curt Wad vor Gericht kam, und vonseiten der Behörden war bis dahin keine Zeit vergeudet worden. Besonders Philip Nørvig traktierte die Gegenseite eifrig mit Wurfgeschossen, und die Instanzen schienen gern auf ihn zu hören.
    Man testete Netes Intelligenz, berief Zeugen ein und schrieb Protokolle auf Matrize.
    Erst zwei Tage vor dem Gerichtstermin bekam Nete Kontakt zu dem Anwalt, den man ihr als Rechtsbeistand zugeteilt hatte. Er war fünfundsechzig Jahre alt und recht nett, aber mehr war über ihn auch nicht zu sagen.
    Erst als sie im Gerichtssaal saß, wurde ihr richtig bewusst, dass ihr niemand glauben wollte, aber inzwischen, das dämmerte ihr auch, war der Fall zu ernst geworden, als dass man ihn noch hätte ignorieren können.
    Als die Zeugen ihre Erklärungen abgaben, machte nicht einer von ihnen den Versuch, in ihre Richtung zu schauen. Die Luft im Raum schien zu Eis zu gefrieren.
    Netes frühere schreckliche Dorfschullehrerin sprach von Röcken, die hochgehoben worden waren, von unanständigen Wörtern, von Dummheit, Faulheit und von Promiskuität. Und der Pfarrer, der ihre Kameraden konfirmiert hatte, benutzte Wörter wie »Gottlosigkeit« und »teuflische Neigungen«.
    Schon da hatte man die Schlussfolgerung gezogen: asozial, moralisch verdorben und geistesschwach.
    In den Augen der Anwesenden gehörte sie schlicht zu jenen Versagern, vor denen man die Gesellschaft besser verschonte. Verlogen sei sie und verschlagen und - wie es immer wieder hieß - »charakterlich ungefestigt«. Nicht ein einziges positives Wort fiel, nichts Abmilderndes. Es wurde rundheraus behauptet, sie sei unbelehrbar und stecke andere damit an, ja, sie stifte sie geradezu zur Aufmüpfigkeit an. Und ihr abscheulich stark ausgeprägter Sexualtrieb sei schon immer problematisch gewesen, aber nun, nach ihrer Geschlechtsreife, habe Nete sich zu einer wahren Gefahr für ihre Umgebung entwickelt. Als sie dann beim Binet-Simon-Intelligenztest mit einem IQ von 72,4 abschnitt, gingen endgültig alle davon aus, dass der Arzt Curt Wad, seinen guten Absichten zum Trotz, ein Opfer von übler Verleumdung und verlogener Hetze geworden war.
    Nete protestierte und sagte, die Fragen im Test seien dumm gewesen. Und dann fügte sie noch hinzu, sie habe dem Doktor Wad genau vierhundert Kronen für die Abtreibung gegeben. Daraufhin beteuerte ihr Pflegevater im Zeugenstand, so viel Geld könne sie unmöglich angespart haben. Nete war schockiert. Entweder log er, oder seine Frau hatte ihn nicht eingeweiht, dass sie Geld beigesteuert hatte. Deshalb rief Nete, sie sollten doch seine Frau fragen, ob sie nicht die Wahrheit sage. Aber die Ehefrau war nicht da - ebensowenig wie ein allgemeiner Wille, die Wahrheit zu finden.
    Zuletzt erschien der Gemeindevorsteher - der Sohn seiner Verwandten hatte damals mitgeholfen, Nete in den Mühlbach zu werfen - und brachte den Vorschlag vor, Nete fortan in einem Mädchenheim oder besser noch in einer Erziehungsanstalt unterzubringen. Das sei günstiger, als eine neue Pflegefamilie für sie zu finden. Schon damals habe man ja gewusst, dass sie mit jedem Dahergelaufenen kopuliere und dass sie einen Abort herbeigeführt habe, indem sie sich mit dem Bauch auf scharfkantige Steine geworfen habe, sagte er. Sie sei ein richtiggehender Schandfleck für die friedliche Gemeinde.
    Die Punkte der Anklage gegen Curt Wad wurden einer nach dem anderen vom Gericht abgewiesen.
    Nete konnte sehen, wie in Philip Nørvigs Augen immer wieder kurz so etwas wie Vergnügen und Gier aufblitzten. Er schien seine Rolle und die allgemeine Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, sehr zu genießen. Und die ganze Zeit klebte ein schiefes kleines Lächeln im Gesicht des zuverlässigen Arztes Curt Wad.
    Nach etlichen Prozesstagen legte der Richter an einem der letzten eiskalten Februartage noch einmal das Für und Wider dar und drückte dann das Bedauern des Gerichts darüber aus, dass Curt Wad aufgrund der Aussagen dieses

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