Carl Mørck, Sonderdezernat Q Bd.4 - Verachtung
beweisen«, fuhr er fort.
»Okay. Baks Schwester hat gesagt, sie könne nicht angeben, wer sie misshandelt hat, das hab ich im Polizeifunk gehört. Hat sie's denn ihrem Bruder gesagt?«
»Nein, er beteuert, das hätte sie nicht getan. Aber sie hat früher mal Probleme mit diesem Verslovas gehabt, da war sich Bak ganz sicher.«
»Und jetzt steht Bak außer Dienst und spielt draußen in Vesterbro Polizist.«
Wieder ertönte eine Salve von Niesern. »Tja, dann wird es wohl höchste Zeit, Carl, dass du dich dorthin begibst und ihn daran hinderst. So viel sind wir einem alten Kollegen doch schuldig, oder?«
»Sind wir das?«, schoss Carl zurück, aber da hatte Marcus Jacobsen das Gespräch bereits beendet. Sogar ein Mordkommissionschef konnte die Nase mal gestrichen voll haben.
»Also, Carl, was jetzt?«, fragte Assad von hinten. Als könnte er sich das nicht selbst ausrechnen. Er stand jedenfalls schon bereit, bekleidet mit diesem Mausoleum von einer Daunenjacke. »Ich habe Rose gesagt, dass wir mal ein paar Stunden oder so weg sind, aber die hört nichts. Die hat nur Rita Nielsen im Kopf.«
Komischer Kauz, dieser Assad. Wie konnte der in seinem Zustand überhaupt nur in Erwägung ziehen, sich in die allumfassende Novembernässe hinauszuwagen? Drehten seine Wüstengene vielleicht einfach durch bei solchem Wetter?
Carl seufzte und zog den Mantel vom Stuhl.
»Noch eins«, sagte er auf der Kellertreppe nach oben. »Warum bist du heute so früh hier gewesen? Schon gegen vier, habe ich gehört.«
Carl hatte mit einer konkreten Antwort gerechnet, im Stil von: »Ich hab mit meinem Onkel geskyped, für den ist das der beste Zeitpunkt.« Aber nicht mit diesem flehenden Hundeblick.
»Kann das nicht egal sein?«, entgegnete Assad. So spielte man nicht mit Carl. »Egal«, auf diesen Mistausdruck griffen die Leute immer dann zurück, wenn es alles andere als egal war. Auf das Wörtchen »egal« reagierte Carl ebenso allergisch wie auf Sätze, die mit »ja, also« anfingen oder auf »keine Lust« endeten.
»Wenn du auch etwas dazu beitragen willst, dass unser Gespräch in Gang kommt, Assad, dann sperr die Löffel auf. Wenn ich nach etwas frage, ist das nicht egal.«
»Was soll ich aufsperren, Carl?«
»Ach, Mann, nun gib mir doch einfach eine gescheite Antwort!« Verärgert schob Carl seinen Arm in ein Ärmelloch. »Warum bist du so früh im Bau gewesen? Ist was mit der Familie?«
»Ja.«
»Jetzt hör mir mal zu, Assad. Falls du Ärger mit deiner Frau hast, dann geht mich das nichts an. Und falls du unbedingt mit deinem Onkel, oder wer immer der Typ ist, skypen willst, dann kannst du das natürlich auch gerne tun, aber muss das sein, ehe der früheste Vogel einen Wurm fängt? Und immer vom Büro aus? Hast du keinen Computer zu Hause?«
»Was hat das mit Vögeln und Würmern zu tun, Carl?«
In diesem Moment steckte Carls zweiter Arm im Ärmel. »Mann, das ist eine Redensart, das heißt frühmorgens. Hast du keinen Computer zu Hause?«
Assad zuckte die Achseln. »Nein, momentan nicht. Das ist alles so schwer zu erklären, Carl. Sollen wir nicht einfach Zusehen, dass wir Bak treffen?«
Früher, wenn Carl seine weißen Handschuhe übergestreift hatte und frühmorgens in diesem heruntergekommenen Teil von Vesterbro auf Streife gegangen war, hatten immer scharenweise Leute aus den Fenstern gehangen und ihm in breitestem Kopenhagener Dialekt hinterhergegrölt, was denn so ein verdammter Bulle aus Jütland bei ihnen zu suchen habe. Ob er nicht besser in die Holzpantinen schlüpfen und zum Misthaufen zurückkehren wolle. Damals hatte es ihn mächtig in den Fingern gejuckt, aber wenn er sich heute in dem Viertel umschaute, vermisste er das alles. Die alten Zeiten schienen Lichtjahre entfernt zu sein. Hier, wo unbegabte Architekten strohdumme Politiker umgarnt und ihnen stinkende Betonburgen aufgeschwatzt hatten, wohnte mittlerweile nur noch, wer gar nicht anders konnte.
Nach gediegenen Backsteinhäusern mit Fenstersimsen und rußigen Schornsteinen musste man in den Nebenstraßen der Istedgade verdammt lange suchen. Aber was Betonklötze, Jogginganzüge mit Hängearsch oder Männer mit verschlossenen Gesichtern anging, war man hier goldrichtig. Ob nigerianische Zuhälter oder osteuropäische Hochstapler, hier herrschte das richtige Mikroklima. Hier fand noch die bizarrste Form von Kriminalität ihren Lebensraum.
Børge Bak hatte länger als irgendein anderer aus dem Morddezernat in diesem Viertel Dienst getan, sodass er
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