Carlotta steigt ein
sicher
nicht säubern können, aber an der Nachbartür meiner kleinen Schwester wird
jedenfalls niemand kleine Päckchen aus einer alten Ledermappe verteilen.
Ich blieb in meinem Auto sitzen
und machte mir Notizen. Kommen und Gehen. Zwei Kinder von höchstens zwölf
Jahren gaben dem Zipfelbart etwas und bekamen dafür etwas anderes zurück.
Genaue Personenbeschreibungen wanderten in mein Notizbuch. Sobald ich einen
klaren Überblick hatte, bekam mein Polizeifreund den Tip mit Datum und
Zeitpunkt von mir, und der Bastard würde sich selbst ans Messer liefern.
In meinem Kopf waren seine Tage
bereits gezählt.
7
Ich blieb zu lange auf meinem
Beobachtungsposten, deshalb raste ich den Memorial Drive hinunter, meine
Gedanken verbissen auf diesen Dreckskerl von Dealer konzentriert. Erst halben
Wegs zur Boston University Bridge konnte ich mich davon losmachen; jetzt
bemerkte ich, daß die Ulmenblätter goldgerändert waren und hohe Wolken das
Sonnenlicht zu feinen Strahlen bündelten. Mit atemberaubender Plötzlichkeit
bäumte sich die Straße auf und gab einen überwältigenden Ausblick auf Bostons
Kirchtürme, Sandsteinbauten und Wolkenkratzer frei. Nach all den Jahren bekomme
ich dabei immer noch eine Gänsehaut.
An klaren Herbsttagen ist
Boston unvergleichlich, besonders wenn man sich von der Cambridge-Seite des
Charles River heranpirscht. Es ist der Fluß, der der Stadt ihren Zauber
verleiht und sie mit seinem silbernen Band umschlingt. Heute war der Charles
glasglatt, bis auf zwei einzelne Ruderer, die das Wasser durchschnitten und auf
das M. I. T.-Bootshaus zuhielten. In Richtung Innenstadt ist die Skyline ein
einziges Durcheinander, aber weiter rechts wachen die Hancock- und
Prudential-Türme über die hintere Bucht. Auf dem Gipfel von Beacon Hill fing
die goldene Kuppel des Parlamentsgebäudes einen Sonnenpfeil auf und strahlte
ihn in meine Augen zurück, so daß ich den Blick senken mußte.
Es wird behauptet, im Charles
River würden heutzutage wieder Fische herumschwimmen. Man braucht nicht mehr
für eine Tetanusspritze zum Arzt zu jagen, falls man von seinem Segelboot
gefallen ist. Seit ich nach Boston zu Tante Bea gezogen bin, nachdem meine
Eltern gestorben waren, hieß es immer, es dauerte höchstens noch fünf Jahre,
bis die Leute wieder im Charles schwimmen könnten. Dann noch fünf Jahre. Und
wieder fünf mehr.
Wie es aussah, mußte ich wohl
ebensolange am Fuß der Brücke warten. Autos hupten, Fahrer fluchten, aber
vergebens. Die College-Studenten waren wieder zurück in der Stadt und
zahlenmäßig so stark, daß sie sich den Weg über die Straße einfach erzwingen
konnten. Als sich der Studentenschwarm schließlich weit genug auseinanderzog,
daß ich mich mit meinem Auto hindurchschlängeln konnte, bog ich zum Park Drive
ab und folgte dem Riverway, bis er in den Jamaicaway übergeht. Die Straße führt
durch die aneinandergereihten städtischen Grünanlagen von Olmsted und hat genug
Windungen und Kurven, um eine ehemalige Taxifahrerin in Entzücken zu versetzen.
Ich fuhr sie zu schnell, aber das tun alle. Im Gegensatz zu allen anderen blieb
ich jedoch auf meiner Fahrspur.
Links am
Jamaica-Pond-Bootshaus. Rechts auf die Center Street. Ich folgte den Schienen
einer Straßenbahn, die seit Gott weiß wie vielen Jahren nicht mehr fährt.
Jamaica Plain ist ein echtes Bostoner Viertel, eine Wohngegend, ein für
Touristen unattraktiver Stadtteil. Ich weiß noch, daß in der Center Street ein
Schuster neben dem anderen war, Waschsalons, Läden mit allem, was Väter und
Mütter zu ihrer Bequemlichkeit brauchen, und Restaurants mit Stehtischen, wo
die Stammgäste auf ihrem Weg zur Arbeit bei Eiern und Speck und politischen
Streitgesprächen Pause machten.
Jetzt gibt es Blumenläden in
der Center Street, jedenfalls glaube ich, daß es Blumenläden sind. Bei einem
staken zwei rosa Lilien in einer einsamen Vase im Schaufenster. Ein anderer hatte
aus Angst vor krasser Übertreibung einen einzigen Orchideenzweig aufgestellt.
Ich zählte drei Hörnchen-Bäckereien, vier kleine Lokale mit Rolläden und
handgeschriebenen Speisekarten und zwei Schuhgeschäfte. Anzeichen zunehmender
Vornehmheit.
Wo sollen sich nun all die
Yuppies ihre Schuhe besohlen lassen?
Sagt mir eine Adresse irgendwo
in Boston, und ich finde sie blind. Margaret Devens hatte angefangen,
Wegangaben durchs Telefon zu babbeln, aber ich hatte ihr das Wort
abgeschnitten. Taxifahrer kennen sich aus.
Ich bog nach rechts ein in
Weitere Kostenlose Bücher