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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Barnes
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aber sie haben alle die amerikanische Staatsbürgerschaft.»
    «Ein junger?»
    «Nein.»
    «Sonstige Vorbelastungen?»
    «Wie meinst du das?»
    In Boston gibt es vier Arten
von Taxifahrern: die normalen Geldverdiener, die hochgebildeten arbeitslosen
Akademiker, die ungebildeten milchkaffeefarbigen Typen, per Schiff von Haiti
oder Barbados angelandet, und die Kerle mit Vorstrafenregister.
    «Ich würde gern deine Fahrer
überprüfen. Und deine Funkaufzeichnungen von den letzten sechs Monaten
ausleihen.»
    «Sonst noch etwas? Meine Schuhe
vielleicht? Das letzte Hemd?»
    «Sarkasmus kommt bestimmt gut
an bei den Bullen, Gloria.»
    «Richtig. Sonst noch etwas?»
Diesmal war ihre Stimme zuckersüß.
    «Was ist mit deinem Funkgerät?
Alles ganz neu, nicht wahr?»
    «Von diesem Jahr», sagte sie
stolz. «Auf dem neuesten Stand der Technik. Jeder Fahrer kann sich einschalten
und sämtliche Durchsagen abfangen, oder eine Taste drücken und nur empfangen,
was ich direkt für ihn durchgebe. Die meisten ziehen sich zu Anfang alles rein.
Davon bekommen sie Kopfschmerzen, und dann kündigen sie. Es macht dich
wahnsinnig, das ganze Gequassel.»
    «Mag sein», sagte ich, tief in
Gedanken versunken.
    Gloria machte mit. Alles lief
wie am Schnürchen. Nur machte der Sturm solch einen Lärm, daß ich total
überhörte, wie Sam Gianelli ins Büro kam, bis mir Regenwasser auf die
Turnschuhe tropfte.
     
     
     

17
     
    Ich hatte ganz vergessen, wie
gut Sam aussah. Es total verdrängt.
    «Hi, Gloria», sagte er und
blieb einen Meter vor der Tür unter einer dieser schaukelnden Lampen stehen,
grinste und schüttelte sich das Wasser aus den dunklen Haaren. «Viel los heute
abend. Hoffentlich regnet’s bis in alle Ewigkeit.» Jetzt bemerkte er mich, und
sein Grinsen wurde gezwungen, als hätte der Fotograf zu lange mit dem Auslösen
gewartet. «Carlotta?»
    Warme braune Augen und ein
leichtes Lächeln habe ich schon immer gemocht. Und ein eigenwilliges Kinn hat
ebenfalls seinen Reiz. Bleibt noch hinzuzufügen, daß er wohlproportioniert und
größer war als ich, kein Wunder also, daß eine jüngere Carlotta auf ihn
hereingefallen war.
    «Sam», sagte ich.
    Mit Sechsunddreißig war er
gepflegter als damals mit — ja wieviel eigentlich? — Neunundzwanzig?
Erwachsener. Sein Gesicht war immer noch knochig, mit breiten Wangenknochen und
schmalem Kiefer. Er ging auch anders, hatte eine aufrechtere Haltung und mehr —
wie soll ich sagen — mehr Format. Seine Brust füllte einen gutgeschnittenen
anthrazitfarbenen Anzug voll aus. Früher hatte er stets so ausgesehen, als
trüge er abgelegte Klamotten, und ich war mir nie sicher, ob das nun an der
Kleidung lag oder an der Bürde, als jüngster Sohn von Anthony Gianelli geboren
zu sein.
    Anthony Gianelli, das sei für
Leute angemerkt, die nicht aus dieser Gegend kommen, hat alle nur denkbaren
Verbindungen. LCN, Cosa Nostra, die Mafia, wie immer man es nennen will. Jeder
weiß es, und keiner tut viel dagegen. Sam, das Nesthäkchen, ist vermutlich
sauber. Er hat keinen guten Geschäftssinn, aber das spielt keine große Rolle.
Wenn man mit Nachnamen Gianelli heißt, hat man überall Kredit.
    Sam war nicht zu seinem Papa
gerannt oder hatte um Kredite gebettelt, um G&W am Laufen zu halten. Er
hatte sich lieber mit Gloria zusammengetan und wandelte seitdem geschäftlich
auf dem Pfad der Tugend.
    Vielleicht paßten ihm deshalb
jetzt seine Anzüge wie angegossen.
    «Hallo», sagte er mit
entsprechendem Lächeln, «schnüffelst du herum?»
    «Sie will —» setzte Gloria an,
ohne mein stilles Flehen zu bemerken.
    «Ich brauche einen Job, Sam»,
unterbrach ich sie rasch, «Taxi fahren.»
    «Ich dachte, du wärst ein
Bulle.» Das war ihm zu schnell entschlüpft. Er hielt inne und fügte dann hinzu:
«Oder so was Ähnliches.» Ein bißchen kümmerlich, so der Lady zu verstehen zu
geben, daß er über sie Bescheid wußte.
    «Hat mir nicht gefallen.»
    «Das Jurastudium?»
    «Abgebrochen.»
    «Du siehst nicht aus, als ob es
dir schlecht ginge», sagte er und musterte mich von oben bis unten, als sei ich
eine nackte Figur in einem Kunstmuseum. Normalerweise hasse ich das,
wirklich. Diesmal aber konnte ich fühlen, wie ich errötete, denn mir wurde jäh
bewußt, daß ich das gleiche mit ihm gemacht hatte.
    «Ich krieg die Sache irgendwie
nicht in den Griff», sagte ich lahm. «Ich überlege, ob ich nicht
weiterstudieren soll —»
    «Haben wir was frei?» fragte er
Gloria. Er sprach, ohne sie anzublicken, ohne

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