Carolin - GesamtWerk
Es würde ja niemand bemerken, wenn sie die Gefühle nur fest genug in sich einschloss
Aufgeregt pochte ihr Herz, als sie am kommenden Abend nach der Dusche das rote Kleid überstreifte, das Kleid des Parks, in das kribbelnde Erinnerung eingewebt war. Klackend lagen die Kugeln in ihrer Hand. Sie nahm sie lieber hier in sich als irgendwo draußen im Auto, wo jemand sie hätte beobachten können. Warum nur tat sie alles, was Simon wollte? Weil es nichts Schöneres, nichts Aufregenderes, nichts Reizvolleres gab als die Gefühle, die er ihr schenkte. Behutsam drängte sie die Kugeln in den Schoß und ihr aufgewühltes Seufzen stieg zur Decke. Wie um Himmels willen sollte sie es nur schaffen, die Erregung vor fremden Blicken zu verbergen und so zu tun, als regiere der Verstand über die Gefühle, wie es sich die Menschen schon von jeher gerne weiszumachen versuchten?
Mit wiegendem Schritt verließ sie das Haus, ringend um Beherrschung. Zum Glück begegnete sie keinem Nachbarn, der in ihrer Miene die Sinnlichkeit hätte lesen können. Im Moskito aber gab es potenzielle Leser genug, fast alle Tische waren besetzt, dichter Qualm hing in der Luft, Stimmengemurmel durchwisperte den Raum, überlagert von treibendem Rhythmus und einer singenden Gitarre, ein Santana-Stück. Natürlich fiel Carolin in ihrem roten Kleid auch heute wieder auf, wurde von Blicken wie von aufdringlichen Fingern gestreichelt, wieder war es, als sei der Stoff durchsichtig und könne jeder ihren nackten Körper darunter sehen. Sie fand Simon weiter hinten, genau an dem Tisch, an dem sie neulich mit ihm gesessen war, vor dem Spaziergang im Park, an »ihrem Tisch« also. Bei ihm befand sich ein Mann in seinem Alter, klein, Halbglatze, rosiges Gesicht, feiste Wangen, wässrig blaue Augen, er trug eine helle Hose, ein dunkles Sakko und ein weißes Hemd mit Schlips, sah aus wie ein billiger Angestellter. Mit kleinen behutsamen Schritten stöckelte sie hinüber auf den hohen Absätzen ihrer roten Schuhe, versuchte die anderen Gäste zu ignorieren, es war ein Spießrutenlauf.
Die beiden hatten den Platz in ihrer Mitte für sie frei gehalten, sie ließ sich aufatmend nieder, als sei sie hier in Sicherheit, und sah Simons mahnenden Blick. Oh, die Regeln, sie galten ja immer in seiner Gegenwart! Mit einer raschen verstohlenen Bewegung raffte sie das Kleid hoch und öffnete verschämt die Knie. Simon stellte sie dem Fremden vor und nannte seinen Namen: Gerhard. Ihr Blick kreuzte den seinen, sie versuchte sein huschendes Lächeln zu erwidern, er senkte die Lider noch vor ihr. Wohlgefällig schaute Simon sie an, während er das Wort an Gerhard richtete. »Sie ist ein Engel. Sie erfüllt jeden Wunsch und hält sich folgsam an die auferlegten Regeln.«
Interessiert horchte Gerhard auf. »Welche Regeln denn?«
»Das kann dir Carolin selbst erzählen.«
Musste das sein? War die Einhaltung der Regeln nicht schon demütigend genug, sollte sie tatsächlich diesem fremden Mann auch noch davon berichten? Simons mahnender Blick löste ihre Zunge. »Es ist mir nicht erlaubt, unter dem Kleid etwas anzuhaben «
Ihre Stimme erstarb und Simons Hand legte sich auf die ihre. »Alles!«
Sie schaute sich um, vergewisserte sich, dass niemand sonst sie hören konnte, und rang sich die Worte mühsam ab. »Außerdem darf ich mich nicht auf den Rock setzen und muss die Knie offen haben.«
Verstohlen lugte Gerhard unter den Tisch.
Simon lächelte. »Sag ihm auch, weshalb du so wunderschön lüstern aussiehst.«
»Weil « Kaum hörbar war ihre Stimme im Klang der melodischen Gitarre. »Weil ich Liebeskugeln in mir habe «
Gerhards gespitzte Ohren hatten ihr zaghaftes Bekenntnis eingefangen, Röte puderte sein Gesicht. »Oh Mann, das ist scharf « Sein Blick schweifte zu Simon. »Ich denke, wir sollten bald gehen.«
Wohin? Carolins stumme Frage wurde von Simon beantwortet. Sie wollten sich das Feuerwerk anschauen, mit dem heute Nacht wie in jedem Jahr die Touristensaison eingeläutet wurde. Sie verließen die Kneipe und stiegen draußen in Gerhards dunkle schwere Limousine, die eigentlich zu edel und zu teuer war für einen kleinen Angestellten. Carolin musste im Fond Platz nehmen und der Fremde sank neben sie. Simon, den sie bisher nur auf dem Fahrrad gesehen hatte, setzte sich ans Steuer und ließ den Wagen zur Hauptstraße rollen. Ohne Umschweife, als habe er das Recht dazu, legte Gerhard seine Hand zwischen ihre geöffneten Schenkel. Eigentlich durfte sie das ja nicht zulassen,
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