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Carolin - GesamtWerk

Carolin - GesamtWerk

Titel: Carolin - GesamtWerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Bruno Greulich
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gefesselt, ihre Augen mit einem schwarzen Tuch verbunden, eine lange Kette schwang sich vom Halsband hoch zum Titel: »Geschichte der O.« Im beiliegenden kurzen Brief teilte Simon ihr mit, dass sie am Samstagabend zu ihm kommen und bis dahin den Roman vom ersten bis zum letzten Satz gelesen haben solle, ob er ihr gefalle oder nicht.
    Ihr Bangen wuchs, je mehr sie las. Diese O wurde in einem absonderlichen Schloss zur Sklavin abgerichtet. Man unterwarf sie strengen Regeln, peitschte sie und lieferte sie fremden Männern aus. Auf diese Weise »erzogen«, lebte sie nach der Rückkehr zu ihrem Geliebten als dessen gehorsame Dienerin. Als er sie nach einiger Zeit seinem älteren Freund überließ, lernte sie auch diesen zu verehren, umso abgöttischer, je mehr er sie peitschte, prostituierte, missbrauchte und demütigte. Am Schluss des Romans endete die O, von ihrem Gebieter verlassen, als traurige Hure im Haus ihrer »Erziehung«, das ein Bordell war.
    Verstört klappte Carolin das Buch zu, das sie innerhalb weniger Stunden gelesen hatte. Was um Himmels willen wollte ihr Simon damit sagen? Wollte er eine O aus ihr machen? Die Kleider- und Sitzregeln, die er ihr auferlegt hatte, stammten aus dem Roman. Sollte etwa noch mehr daraus zu ihrem eigenen Erleben werden?
    Sie begann sich zu fürchten vor dem Samstagabend. Was hatte Simon mit ihr vor? War es nicht besser, zu Hause zu bleiben? Wie Mühlräder drehten sich die Gedanken ständig um die eine einzige Frage: Sollte sie zu ihm gehen oder nicht? Am Samstagnachmittag war die Entscheidung noch immer nicht gefallen, kurz vor sieben aber ging sie in die Dusche wie ferngesteuert, schminkte sich danach sorgsam, legte ein dunkles Parfüm auf, streifte schwarze halterlose Strümpfe mit Spitzensaum über die Beine, zog ein schwarzes knielanges Kleid mit reizvollem Dekolleté an, schlüpfte in schwarze Stöckelschuhe. Es gab kein Entrinnen vor der fremden Macht, die ihr Handeln lenkte, denn sie war gar nicht fremd, kam nicht von außen, sondern wohnte in ihrem Innern, war ihr eigenes, tiefes, unbegreifliches Begehren. Fiebrig lenkte sie ihr Auto durch die Stadt, hätte ums Haar eine rote Ampel übersehen, war froh, als sie endlich in der Nähe seiner Wohnung parken konnte, und stieg mit pochendem Herzen aus.
    Simon empfing sie im Flur, bekleidet mit einer schwarzen Hose und einem blauen Hemd, flüchtig war seine Umarmung, ein Hauch nur der Kuss auf ihre Lippen, für einen kleinen Moment legte sich seine Hand auf ihren Po, dann führte er sie ins Wohnzimmer. Entgeistert blieb sie auf der Schwelle stehen, starrte zum Tisch. Darauf lagen lederne Bänder ähnlich denen auf dem Foto der O, jedes mit einem metallenen Ring versehen, daneben fingerdicke Ketten, schwer und solide, silbern schimmernd — und eine dünne schwarze Reitpeitsche mit einer kurzen ledernen Schnur am Ende, die in einem Knoten mündete. In einem Sessel saß ein fremder Mann mit braunem kurzem Haar. Er trug einen hellen Anzug, war um die vierzig oder älter, schlank und gepflegt. Wortlos betrachtete er sie aus grünen Augen, begrüßte sie mit einem distanzierten Lächeln und nahm ein Schlückchen Whisky aus dem schweren kristallenen Glas in seiner Hand.
    Carolin wich seinem Blick aus. Warum nur machte sie nicht auf der Stelle kehrt und flüchtete hinaus in die Freiheit, die doch aber keine war, nur öde weite Leere?
    Simons Stimme nagelte sie fest. »Hast du das Buch gelesen?«
    Sie nickte.
    »Hat es dir gefallen?«
    »Es ist schrecklich.« Tonlos waren ihre Worte.
    Ein Lächeln huschte über seine Miene. »Natürlich ist es das. Aber wie ich dich kenne, gibt es auch etwas daran, das dir gefällt «
    Sie schwieg.
    »Du bist wie sie. Es fehlt nur noch der letzte Schritt.«
    Der letzte Schritt! Ein kalter Schauer rieselte über ihre Haut.
    »Du hast die Wahl«, behauptete Simon. »Du kannst gehen, wenn du willst, niemand hält dich auf.«
    Nein, Carolin hatte nicht die Wahl. Wenn sie jetzt ging, dann für immer. Und dann? Leben wie früher, leer und ohne Zweck, bedeutungslos und fern der unergründlichen Lust, die es nur bei Simon gab? Wie gelähmt verharrte sie auf der Stelle, Stunden verstrichen, wie ihr schien, das Zimmer bebte unter ihrem dröhnenden Herzschlag.
    »Komm!«
    Sie folgte Simon wie im Traum zum Tisch, hielt still, als er ihr das lederne Band um den Hals legte und die drei Schnallen stramm verschloss. Die schmaleren Bänder wurden um ihre Hand- und Fußgelenke gespannt, sie öffneten eine neue Tür im

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