Caroline und der Bandit
es heißt, sich einem Mann hinzugeben.« Dann
richtete er sich auf und schwenkte die Waffe. »Hast du noch Munition dafür?«
Angesichts
dessen, was eben erst geschehen war, kam es Caroline gar nicht in den Sinn zu
lügen. Sie nickte stumm und reichte Seaton die restlichen Kugeln aus ihrer
Hosentasche – er sollte nur noch gehen und sie und Charlie in Frieden lassen.
Der alte Mann rang nach Atem und preßte eine Hand auf seine Brust.
»Bis bald«,
sagte Seaton lächelnd und hauchte einen Kuß auf seine Fingerspitzen. »Falls du
schreist, meine Süße«, warnte er Caroline, »schieße ich nicht nur diese alte
Krähe tot, sondern nehme dich auch noch als Geisel mit.«
Caroline
schluckte entsetzt. »Ich schreie nicht«, versprach sie rasch.
Und sie
schrie auch nicht.
Aber kaum
war die Außentür hinter Seaton zugefallen, rannte sie zum Waffenschrank des
Marshals und nahm sich ein Gewehr. Als sie den Bürgersteig erreichte, ritt
Seaton schon auf einem der Pferde davon, die sie mit ihrem schwerverdienten
Geld erstanden hatte. Rasch zielte sie auf seinen linken Arm und drückte ab.
Der Schuß löste sich mit einer solchen Kraft, daß Caroline zurückgeschleudert
wurde und rücklings auf dem hölzernen Bürgersteig landete.
Ausgerechnet
in diesem Augenblick erschien der Marshal. »Was zum Teufel ...?« schrie er, riß
Caroline das Gewehr aus der Hand und zog sie auf die Beine.
»Er
entkommt!« rief Caroline enttäuscht.
Nun kam
auch Charlie aus dem Gebäude gestolpert. »Flynn ist ausgebrochen«, sagte er und
fügte mit einem vorwurfsvollen Blick auf Caroline hinzu: »Anscheinend hat diese
junge Dame hier ihm eine Waffe gebracht und ihm ein Pferd besorgt.«
»Sperr sie
ein«, befahl der Marshal barsch, stieß Caroline unsanft in Charlies Richtung
und bestieg sein Pferd. Ein halbes Dutzend
anderer Männer gesellten sich rasch zum Marshal und nahmen mit ihm Flynns
Verfolgung auf.
»Sie wollen
mich doch nicht etwa ins Gefängnis stecken?« fragte Caroline entsetzt,
als Charlie sie sanft ins Gebäude schob. »Ich habe Ihnen das Leben gerettet!«
»Aber
vorher haben Sie es in Gefahr gebracht«, erwiderte der Wächter trocken, führte
Caroline zu Seatons Zelle und schloß die Tür ab.
Entsetzt
umklammerte Caroline die Gitterstäbe. »Sie verstehen nicht!« rief sie
schluchzend. »Ich glaubte, Mr. Flynn sei unschuldig!«
»Was Sie glaubten, steht nicht zur Debatte, Miss. Tatsache ist, daß der Mann des Raubes und
des Mordes überführt wurde und Sie ihm zur Flucht verholfen haben. Dafür werden
Sie vor ein Gericht gestellt.«
Caroline
spürte, wie sie blaß wurde. Draußen vor dem Zellenfenster hörte sie ein
vertrautes Winseln, das nur von ihrem treuen Freund Tob kommen konnte.
Niedergeschlagen
wandte sie sich von der Tür ab und ging zum Fenster. Tatsächlich hockte Tob auf
der Straße und schaute mit traurigen, seelenvollen Augen zu ihr auf. Caroline
nahm das Essen, das von Seatons Frühstück übriggeblieben war, und warf es dem
Hund hinaus.
»Mr.
Charlie!« rief sie dann bittend.
»Was ist?«
erwiderte er ungeduldig. Das ganze Büro war voller Leute, die alle begierig
waren, Charlies Bericht über die morgendlichen Ereignisse zu hören.
»Dürfte ich
einmal unter vier Augen mit Ihnen sprechen?« Mit unwirscher Miene trat Charlie
ein. »Was wollen Sie?« Caroline senkte die Stimme. »Ich muß ... auf die
Toilette«, sagte sie,
beschämt darüber, mit einem Mann über ein solches Thema reden
zu müssen.
Charlie
deutete auf die Pritsche. »Es steht ein Topf darunter«, antwortete er, wandte
sich ab und wollte wieder gehen.
»Mr.
Charlie!« rief Caroline rasch. Irgendwie
mußte sie den Wächter dazu bringen, ihr zuzuhören. Einen Nachttopf zu benutzen,
würde ihr nicht die nötige Ruhe vermitteln.
»Ich sagte,
benutzen Sie den Topf unter dem Bett!« bellte Charlie von draußen, und Caroline
fühlte sich so gedemütigt, daß sie beide Hände vors Gesicht schlug und sich
stöhnend abwandte.
Sie wartete
so lange es ging, aber irgendwann war die Natur nicht mehr aufzuhalten. Sie
hatte kaum ihre Notdurft erledigt, als die Tür aufging und ein junger Mann mit
einem Block und einem Stift erschien.
Mit ernster
Mien betrachtete er Caroline. »Ihr Name, Madam?« erkundigte er sich höflich.
»Wozu
wollen Sie das wissen?« entgegnete Caroline verdrossen.
Er lächelte
und enthüllte eine große Lücke zwischen seinen Vorderzähnen. »Weil ich einen
Artikel über Sie schreiben werde.«
Caroline
seufzte und legte
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