Caroline
hockte neben ihrem Rednerpult. »Doch die meisten dieser Talente haben einfach nicht das Glück, einen so engagierten Herausgeber zu finden und von der Literaturkritik so positiv aufgenommen zu werden wie ich. Dadurch schaffte es schon mein erster Roman ganz nach oben auf die Bestsellerlisten und wurde bereits in sechs Sprachen übersetzt.« Hedwige Larue ließ den Blick durch den kleinen Saal schweifen und erlaubte sich ein kleines Lachen. »Bei all der Aufmerksamkeit, den Interviews und den Präsentationen für Ein kleines Geschenk war es ein Glück, dass ich mit meinem zweiten Roman schon vorher begonnen hatte, sonst hätte ich ihn wahrscheinlich niemals vor den Feiertagen fertig bekommen. Doch schließlich habe ich es dann ja noch geschafft. Diese Woche kommt er in den Buchhandel und ich kann Ihnen mit Stolz verkünden, dass auch die Rechte an Traum eines Mädchens bereits nach England, Deutschland, Frankreich und Italien verkauft wurden. Damit ist tatsächlich der Traum eines Mädchens in Erfüllung gegangen.«
Das Publikum im Saal stimmte’ in ihr Lachen ein, applaudierte begeistert und schlenderte anschließend am üppigen Büfett vorbei, während die Larue an einem Tisch Hof hielt, Bücher signierte, gemeinsam mit ihrem Agenten Terminabsprachen traf und kurze Interviews gab.
CyberNel und ich blieben im Hintergrund sitzen. Kellnerinnen boten Häppchen an, wir tranken Champagner und blickten uns unter den rund fünfzig Gästen um. Die einzigen, die wir wiedererkannten, waren die Mitarbeiter des Mirabel Verlags. Klausman, der Leiter, ein älterer Herr, hatte der Larue das erste Exemplar überreicht. Wir hatten am Eingang Leseexemplare von Traum eines Mädchens in Empfang genommen, ergänzt durch einen Pressebericht sowie kunstvolle Schwarz-Weiß-Fotos der Schriftstellerin.
Als sich die Menge um Hedwige Larues Tisch zu lichten begann, schlenderte ich hinüber und stellte mich hinter einem dicken Journalisten an, der sein Haar zu einem schmutzig blonden Pferdeschwanz gebunden trug und Schuppen hatte, die sich wie eine Schimmelpilzerkrankung auf den Schultern seines blauen Anzugs ausbreiteten.
»Ich bin froh, dass Sie nicht auch wissen wollen, wie ich auf die Ideen für meine Romane komme«, sagte Hedwige mit einem verschwörerischen Lächeln zu ihm. »So etwas können doch nur Leute fragen, die keine Ahnung haben, dass Schreiben ein Beruf ist. Ich schreibe schon sehr lange, nur war es mir vorher noch nie gelungen, alles, was sich in mir ansammelte, zu einem in sich geschlossenen Werk auszuarbeiten.«
Ich schaute über die Schulter des Mannes hinweg in Hettys Gesicht. »Es ist wie ein Reservoir an Gefühlen, das man Tag für Tag mit seinen Erfahrungen anfüllt«, hörte ich sie sagen. »Doch natürlich kann man letztendlich immer nur über sich selbst schreiben.«
Aus der Nähe betrachtet wirkte sie älter als auf dem Plakat, doch von einem Reservoir an Gefühlen, philosophischer Weisheit oder spirituellen Erfahrungen spiegelte sich in ihren Zügen wenig wider. Ihr Gesicht sah ein wenig verlebt aus und wies die Spuren von zu viel Alkohol und Schlafmangel auf, die sie unter einer dicken Makeup-Schicht zu verbergen versuchte. Sie hatte niemals gelernt, für sich selbst zu sorgen oder gar schöpferische Energie in ihr Überleben investieren zu müssen. Sie war durch teure Schulen geschleust worden und hatte das Glück, als einzige Tochter eines reichen, früh verstorbenen Vaters ihr Leben lang von dessen Erbe profitieren zu können.
Hein Drisman saß mit einem Timer an einer Ecke von Hettys Tisch und unterhielt sich mit einer Frau in Teenageraufmachung.
Mit enervierend albernem Getue und einem hohen Stimmchen versuchte sie wie eine Einundzwanzigjährige zu wirken, die gerne ihre Jungfräulichkeit an den Agenten verloren hätte, einen blonden, sportlich aussehenden Germanen mit blauen Augen, blendend weißem Gebiss und markantem Gesicht.
Hedwige Larue signierte ein Buch und reichte es mit einem Plastiklächeln dem Mann mit den Schuppen. Mit demselben Plastiklächeln sah sie mich an, als ich den Platz des Mannes einnahm und mein Exemplar von Traum eines Mädchens vor sie hinlegte, aufgeschlagen auf der ersten Seite.
»Hallo, Hetty«, sagte ich. »Wie geht’s?«
Jetzt wirkte ihr Lächeln etwas verwirrt, weil sie mich nicht einordnen konnte. »Hallo«, sagte sie.
»Du kannst dich nicht mehr an mich erinnern«, sagte ich entgegenkommend.
»Nein, nicht so richtig«, gab sie zu. »Aber ich lerne schließlich
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