Caroline
verstehen. »Das hat aber nichts mit deinem Auftrag zu tun.«
»Ich begreife nicht, wie du das sagen kannst. Genau damit beschäftigt sich Caroline gerade. Deine Eltern haben ihr auch erzählt, was mit deiner Schwester Denise passiert ist. Vielleicht sucht sie in dieser Richtung und das könnte gefährlich werden.«
Die Stille dauerte an. »Valerie?«
»Ja?«
»Wer ist Carolines Vater?«
»Es tut mir Leid, ich kann dir nicht helfen, ich muss in die Maske.«
Ich hörte sie seufzen und empfand gegen meinen Willen einen Anflug von Mitleid mit ihr. »Weißt du es selber nicht?«
Sie legte auf.
5
Regen fiel über Schipborg. Ein alter Drenther Bauernhof, dessen Stalltüren zur Straße hin lagen. Hier wohnte und arbeitete laut der Bewährungshilfe Groningen Bertus Tons. Nicht gerade ein braver Kerl, wie Bart aus dem Telefongespräch mit dem Polizeibeamten geschlossen hatte, der damals den Fall bearbeitet hatte. Denise Fuck war nicht die einzige geistig behinderte Heimbewohnerin gewesen, die er damals missbraucht hatte. Wahrscheinlich war sie jedoch die Einzige gewesen, die sich so sehr gewehrt hatte, dass Bertus sie erwürgen musste, um sie zum Schweigen zu bringen.
Vor sechzehn Jahren.
Ich saß im Auto und dachte an die wunderschöne, vollkommene Valerie, die nie den Mund aufgemacht hatte. Sie hatte geheiratet und ein Kind bekommen. Sie hatte zwei Jahre verstreichen lassen, ohne Alarm zu schlagen. Danach brauchte sie nichts mehr zu sagen, denn ihre Schwester war tot. Valerie steckte für immer den Kopf in den Sand. Sie flüchtete nach Mailand in eine Karriere, doch der bittere Geschmack und die bleierne Last der Schuld mussten sie fortwährend verfolgt haben.
Ein Schäferhund tauchte wie ein rasender Zerberus in der Hofeinfahrt auf. Als ich langsam auf ihn zufuhr, sprang er laut bellend und mit Schaum vor dem Maul gegen meine offene Seitenscheibe, die ich rasch zudrehte, bevor er sich hindurchzwängen und mir die Kehle durchbeißen konnte. Speichelfäden liefen die Scheibe hinunter und Krallen kratzten wütend über den ohnehin schon mitgenommenen Metallic-Lack meines BMW, als ich auf den Hof fuhr. Bewohner abgelegener Bauernhöfe mögen Wachhunde schätzen, aber dieses Monster bestärkte mich in meiner Auffassung, dass die meisten Hunde ein hässlicher Beweis der Ungastlichkeit waren.
Ich wagte mich nicht aus dem Auto, um zu schellen oder zu klopfen. Der Hund machte genügend Lärm, sodass ich auch nicht zu hupen brauchte. Ich spähte durch den Regen, auf der Suche nach dem feststehenden Wohnwagen, in dem laut meiner Gewährsfrau bei der Bewährungshilfe Bertus Tons ein Unterkommen gefunden hatte, doch ich sah nur das Bauernhaus und alte Gerätschaften in einer offenen Scheune. Am anderen Ende des Grundstücks versperrten Reihen üppig bewachsener Bohnenstangen die Sicht.
Der Hund hörte nicht auf, mit voller Wucht an meine Tür zu springen, und ich war schon kurz davor zu wenden und wieder davonzufahren, als endlich auf einer Seite des Hauses unter dem niedrigen Reetdach eine Tür aufging. Eine Frau im offenen Regenmantel schrie dem Hund etwas zu, der daraufhin seine Selbstmordversuche unterbrach und knurrend stehen blieb. Die Frau lief um den Kühler meines Autos herum, packte das Monster am Halsband, zerrte es über den Hof und legte es im offenen Scheunentor an eine Kette.
Der Hund suchte ein trockenes Plätzchen unter dem Scheunendach und die Frau kam durch den Regen auf mein Auto zu. Ich drehte das Fenster herunter. »Mevrouw Siebers?«
»Mein Mann ist nicht zu Hause.« Sie zog sich die Jacke über den Kopf und beugte sich zu meinem Fenster hinunter. Sie hatte ein spitzes Gesicht mit einer knochigen Nase, schmalen Lippen und dunklen Augen. »Was wollen Sie?«
»Wir führen eine Untersuchung über die Resozialisierung von ehemaligen Häftlingen durch«, sagte ich.
Regen troff von ihrem Mantel. »Bertus ist auch nicht da.«
»Das macht nichts, ich möchte mich nur gerne mit dem Gastehepaar unterhalten.«
»Kommen Sie von der Bewährungshilfe?«
»Vom Ermittlungsbüro des Staatsanwaltes. Mein Name ist Winter.« Ich reichte ihr meinen alten Meulendijk-Ausweis, der, da in Plastik eingeschweißt, einen Guss vertragen konnte. Wegen des Regens schaute sie ihn nur flüchtig an. Mein Foto war darauf und er sah offiziell aus; das Wörtchen ehemaliger vor Staatsanwalt entging vielen Leuten.
Sie gab mir den Ausweis zurück. »Doeke ist erst zum Essen wieder zu Hause. Aber kommen Sie doch trotzdem einen
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