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Caroline

Caroline

Titel: Caroline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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und fing an, meinen Schlafanzug aufzuknöpfen.
    Ich war bereits wach und schaute blinzelnd in das Septemberlicht. »Ich weiß nicht, was du meinst«, flüsterte ich zurück.
    »Du bist ziemlich vergesslich. Vor ungefähr vierundzwanzig Stunden wusstest du es noch ganz genau.«
    »Als wir auf Ibiza aus dem Kopf gescrabbelt haben, bist du deine ganzen Buchstaben auf einen Schlag mit dem Wort ›Stalion‹ losgeworden. Du hast behauptet, das wäre ein ziemlich kleiner Stall, für ungefähr zwei Ziegen. Jedenfalls in Groningen.«
    »Meinst du, das hätte ich erfunden?«
    »Das auch. Aber ich will darauf hinaus, dass du so oft ›ziemlich‹ oder ›ungefähr‹ sagst. Ein Psychologe würde behaupten, dass das ein Ausdruck deiner Bindungsangst ist.«
    »Welcher Psychologe?«
    »Ungefähr zwei ist doch Unsinn. Was soll das heißen? Anderthalb? Zweieinhalb? Das geht weder bei Ziegen noch bei Menschen. Da gibt es nur entweder eins, zwei oder drei. Einer ist ein Single, drei sind einer zu viel, das gibt nur Probleme. Auch mit zweien kann es schwierig werden, wenn sie zum Beispiel keine andere Wahl haben und zusammen in einen Stalion eingepfercht sind. Etwa die Situation: Ich habe Krebs und du musst für mich sorgen.«
    Sie hörte auf mich zu streicheln. »Hast du Krebs?«
    »Ich meine das im übertragenen Sinne.«
    »Denkst du so über das Zusammenleben?«, fragte sie alarmiert.
    »Nein, warum?«
    Sie blieb eine Weile still. Dann sagte sie: »Wir leben hier mit ungefähr zwei Menschen in einem Deichhaus.«
    Ich zog sie auf mich. Ihr kleiner, weicher Körper. Ich konnte sie ein Stück hochheben und ihre Brüste umfassen, die so groß wie Waldtauben waren. Oder sie sinken lassen und an mich drücken, sodass ich tiefer in sie eindringen konnte, oder sie tiefer in mich, bis der Unterschied aufgehoben schien.
    Später rutschte sie ein Stück hinunter und legte die Wange auf meine Brust, und ich streichelte ihre Rippen und glaubte, sie wäre dabei, wieder einzuschlafen. Doch dann flüsterte sie: »Wirst du mich auch noch anschauen, wenn ich alt bin, so in zwanzig Jahren?«
    »Dich anzuschauen ist meine Lieblingsbeschäftigung.«
    Sie strich mir mit den Nägeln über die Haut, in einer abwesenden Geste, als wüsste sie nicht, was sie mit mir anfangen sollte. »Du siehst mich, wie ich bin, und das ist etwas ganz anderes«, flüsterte sie.
    Ich streichelte ihren Kopf. »Wovor hast du solche Angst?«
    »Das Glück kann nicht von Dauer sein. Das war es nie.«
    Ihr Körper war sehr warm und klebte an meinem. Ich hielt sie fest und fragte mich, was sie mit ungefähr zwei meinte.
    Der Mirabel Verlag befand sich in der hinteren Hälfte des Erdgeschosses einer weißen Bürovilla, die an der Allee in Richtung Baarn lag. Zwar hatte die Firma eine eigene Eingangstür seitlich am Haus, wirkte aber dennoch eher bescheiden. Der Empfang, flankiert von einer Topfpalme, lag in einer Nische des breiten, hellen und freundlichen Marmorflures. Dahinter saß eine junge blonde Frau und telefonierte. Ein paar Meter weiter befanden sich einander gegenüber zwei cremefarbene Türen, und am Ende des Flures bot eine verglaste Tür zum Garten Aussicht auf Sträucher und Bäume.
    Bevor wir den Empfangsschalter erreichten, hielt Nel mich plötzlich auf. Wir standen vor einem kunstvollen Plakat, auf dem eine attraktive dunkelhaarige Frau von etwa Mitte dreißig vor einer Vergrößerung des Einbandes von Ein kleines Geschenk zu sehen war. Unter dem Foto stand in zwei eleganten Zeilen: Hedwige Larue. Die Jane Austen des 21. Jahrhunderts.
    »Ein bisschen voreilig«, bemerkte ich. »Das 21. Jahrhundert hat doch gerade erst begonnen.«
    »Mevrouw Larue ist heute mit ihrem Agenten nach Dortmund gefahren, wegen der Übersetzung, und morgen Abend hat sie einen Fernsehauftritt«, hörte ich die Blondine sagen. »Aber ich kann ihr gerne etwas ausrichten.«
    Nel warf mir einen Seitenblick zu. Ich sah ihr an, wie verwirrt sie war.
    »Vorsicht«, murmelte ich. »Du oder ich?«
    »Ich.« Sie machte ein verbissenes Gesicht und ich beschloss, nicht mit ihr darüber zu streiten. Sie gab mir ihre Kamera und ich hängte sie mir am Riemen um die Schulter.
    Die Empfangsdame hatte den Hörer aufgelegt und lehnte sich über den Empfangsschalter hinaus, um nach den Besuchern im Flur Ausschau zu halten. Nel ging über die Marmorfliesen rasch auf sie zu. »Guten Tag, ich bin Lia van Doorn. Das hier ist mein Fotograf. Wir arbeiten gerade an einer Serie über Autorinnen. Könnte mir dabei

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