Caroline
»Ein jüngeres Alter Ego? Was soll der Blödsinn?«
»Die Frage ist, ob der Verlag davon weiß«, sagte ich.
Nel hing ihren eigenen Gedanken nach. »Wo immer sie auch sein mag, sie sieht ihr Alter Ego im Fernsehen, auf Plakaten und in jeder Buchhandlung, sie liest die Zeitungen. Das Mindeste, was sie tun würde, wäre doch, ihrer Mutter unter die Nase zu reiben, dass sie nicht völlig wertlos ist, sondern etwas geleistet hat, und zwar etwas, was mehr Substanz hat als nur schön zu sein und über den Laufsteg zu paradieren.« Sie schwieg einen Augenblick lang, dachte nach und sagte dann: »Auf der Postkarte schreibt sie, ihre Mutter solle mal ein gutes Buch lesen. Vielleicht wusste sie, dass ihr Roman erscheinen würde, und hoffte, ihre Mutter würde ihn in die Hände bekommen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht weiß die Dozentin dieses Schreibkurses etwas darüber, wie heißt sie noch gleich, Deborah? Mit ihr hatte sie mehr als nur oberflächlichen Kontakt.«
Nel nickte. »An sie könnten wir uns wenden. Warte, ich schaue mal kurz im Telefonbuch von Eemnes nach. Falls der Name Larue ein Pseudonym ist, steht sie garantiert nicht drin.« Sie stellte ihr Glas ab und verschwand im Lokal.
Es war Mittagszeit und die Terrasse füllte sich mit Mitarbeitern der umliegenden Bürovillen. Auch die Lektorin und die Empfangsdame des Mirabel Verlages erschienen und setzten sich an einen der letzten freien Tische am Rande der Terrasse. Als sie bestellt hatten, nahm ich Nels Kamera und ging zu ihnen hinüber. Ich blickte lächelnd von der Rezeptionsdame zur Lektorin und sagte: »Hallo, Katrien, richtig?«
»Ja?«
»Es wäre praktisch, wenn ich jetzt schon ein Foto von dir machen könnte, irgendwann müssen wir es ja doch hinter uns bringen, und das Licht da drüben eignet sich wunderbar für Porträtaufnahmen.« Mit enthusiastischem Kopfnicken wies ich auf das Licht und das Wirrwarr von Schlagschatten unter den Bäumen neben De Generaal, in dem selbst der bescheidenste Fotograf nicht tot hätte aufgefunden werden wollen. »Hat Meneer Vreemoed nichts davon gesagt, dass wir in der Elegance ein großes Interview mit Hedwige Larue bringen wollen?«
»Nein, jedenfalls nicht zu mir.«
»Wie dem auch sei, die Entstehung des Romans muss unbedingt in die Story mit hinein, und du hast ihn doch lektoriert, stimmt’s?«
»Ja, das stimmt.«
»Bist du Hedwige Larue auch persönlich begegnet?«
Katrien schaute ihre Kollegin an und kicherte. »Selbstverständlich.«
»Na ja, so selbstverständlich ist das doch nicht, wenn man nur das Lektorat übernimmt?«
»Doch, in diesem Fall schon.«
Die beiden warfen sich viel sagende Blicke zu und ich fragte: »Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein, schon gut.« Katrien zuckte mit den Schultern, die Empfangsdame grinste in sich hinein.
»Sollen wir dann mal schnell loslegen?« Ich sah Nel aus dem Lokal herauskommen und winkte ihr zu, als sie suchend in die Runde blickte.
Rasch kam sie zu uns herüber, nickte den Mirabel-Damen erfreut zu und sagte begeistert: »Das trifft sich aber gut. Ich habe gerade mit dem Agenten telefoniert, das geht alles in Ordnung.«
»Ich weiß nicht«, wandte Katrien zögernd ein.
»Aber du möchtest doch sicher in die Elegance?« Ich schaute Nel an. »Ich habe schon erklärt, dass du auch über den Entstehungsprozess des Buches schreiben willst. Die Dame ist die Lektorin. Ich mache mal eben ein paar Porträtaufnahmen, dann brauche ich nicht noch einmal mit hierher zu kommen.«
»Du musst mich sowieso nach Eemnes begleiten, aber erledige das ruhig schon mal«, sagte Nel und fügte ohne die geringste Spur von Ironie mit einer Kopfbewegung zu den Schatten unter den Bäumen hinzu: »Da drüben ist gutes Licht.«
Katrien und ihre Kollegin tauschten erneut einen Blick aus. Die Blondine zuckte mit den Schultern und Katrien sagte: »Okay.«
Der Kellner brachte Gläser mit Buttermilch und Baguettehälften mit Tomaten, Gurken, Salat, Hähnchenstreifen und viel Mayonnaise. Katrien war klein und ein bisschen kräftig. Sie hatte ein eckiges Gesicht mit humorvollen Zügen, Sommersprossen und eine tiefe Stimme. »Soll ich vorher mein Make-up etwas auffrischen?«, fragte sie.
»Je natürlicher, desto besser«, behauptete ich.
Sie folgte mir von der Terrasse hinunter zu dem Pflaster zwischen den Bäumen.
Ich positionierte sie am Zaun, ließ sie ein paar Schritte nach links und dann wieder zurück nach rechts machen, hantierte umständlich mit der Kamera,
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