Caroline
geredet.« Er schaute Nel an. »Ich meine Unsinn.«
»Verstehe schon«, sagte Nel. »Könnte dein Sohn den Traktor nicht abstellen? Der qualmt doch nur vor sich hin, die reinste Umweltverschmutzung.« Sie lächelte ihn honigsüß an und Bokhof stand gehorsam auf und verließ die Küche.
»Der soll mein Hauswirt werden?«, fragte Nel.
»Er ist kein übler Kerl, außer wenn er betrunken ist«, sagte ich. »Und außerdem bin ich ja da und beschütze dich.«
»Ich zieh mich an, mach du in der Zeit schon mal Frühstück.«
Die Zeit in unserem Dorf verstrich. Die Niederländer waren in die Fabriken und Büros zurückgekehrt und die Wassersporttouristen ließen die Linge allmählich in Ruhe. Wir sind wieder unter uns, sagten wir Deichbewohner zueinander. Das Auto ließen wir so oft wie möglich stehen. Manchmal fuhren wir mit dem Fahrrad eine Runde über den Deich, die Hauptstraße entlang oder über Rhenoy nach Rustwat, um am Wasser eine Tasse Kaffee zu trinken. Beesd war ein schönes Dorf und wir bekamen dort alles, was wir benötigten. Die Stadt brauchten wir nicht mehr und hier dudelte auch keine Musik im Supermarkt.
Wir entwickelten uns zu richtigen Landbewohnern und begannen provinziell zu denken. Eine eigene kleine Welt. Ich hatte oft das Gefühl, die übrige Welt habe in den Achtzigerjahren die falsche Richtung eingeschlagen und es irgendwann nicht mehr weiter gebracht als bis zu ohrenbetäubender Musik und geisttötenden Fernsehshows, die vom Voyeurismus der Massen und der öffentlichen Schadenfreude darüber lebten, dass andere Menschen von Pferden stürzten und sich die Knochen brachen. Es gab Tote bei einer neuen beliebten Sportart, bei der sich Schulkinder Krawatten um den Hals banden und sich gegenseitig würgten, um zu schauen, wer am längsten bewusstlos bleiben konnte. In den Pariser Vorstädten waren Bandenvergewaltigungen die neueste Mode. Eine Bande von zehn Jungen vergewaltigte ein vierzehnjähriges Mädchen, das anschließend monatelang im Krankenhaus lag. Drei der Bandenmitglieder wurden gefasst und hinter Gitter gebracht, die sieben anderen terrorisierten die Familie des Mädchens, weil die daran schuld war, dass ihre Freunde im Gefängnis saßen. Der Siegeszug des Fernsehens im Alltagsleben stumpfte allmählich die Sinne ab und deformierte die Gehirne derart, dass sie solche neuen und absurden Formen der Logik hervorbrachten.
Caroline rückte für mich ein wenig in den Hintergrund. Nicht für Nel, aber auch sie konnte wenig unternehmen, solange Caroline nicht von sich aus wieder auftauchte. Nel hatte ihr noch eine E-Mail geschrieben. Liebe Caroline, ich habe gehört, du wärst bei einer Freundin in Utrecht, bitte melde dich mal kurz bei mir. Wir brauchen dich dringend. Deine Nel.
Doch es kam keine Reaktion und Nel stürzte sich auf den Umbau des Heuschobers, zusammen mit dem rundlichen, rotwangigen Bauunternehmer aus Acquoy und seinen Zimmerleuten. Sie schaffte Wagenladungen voller Computer und anderer elektronischer Geräte aus Amsterdam herbei. Manchmal bekam ich sie den halben Tag lang nicht zu Gesicht.
Die einzige Überraschung kam per Einschreiben mit der Post. Ein nagelneuer Ausweis vom Büro Meulendijk mit meinem Foto, das der Hausfotograf von Meulendijks Imperium irgendwann einmal aufgenommen hatte und das sich natürlich im Archiv befand. Vielleicht wurde der Exstaatsanwalt allmählich alt und vergesslich.
»Max Winter?«, sagte er erstaunt, als ich ihn endlich ans Telefon bekam. »Das ist aber lange her, oder … Was kann ich für dich tun?«
»Stehe ich noch auf der Liste der Mitarbeiter?«, fragte ich. »Oder war das mit dem Ausweis ein Computerfehler?«
»Ich glaube, dass ich dich nicht …«
»Ich habe heute Morgen einen Ausweis von euch bekommen, so ein standardisiertes Modell für das neue Jahrhundert, mit meinem alten Foto.«
»Ach, ist das Foto nicht mehr … Warte mal.« Er redete genau wie früher in bruchstückhaften Sätzen.
»Ich dachte, ich sei selbst nicht mehr …«, sagte ich bescheiden.
Es blieb eine Weile still, während Meulendijk nach Papieren kramte oder seinen Computer um Rat fragte. »Ah ja … Die Freiberufler. In Amsterdam habe ich genug. Aber du wohnst doch jetzt in … Manchmal brauchen wir da auch Leute. Du bist doch nach wie vor bereit, für uns zu arbeiten?«
Ich brauchte nicht lange darüber nachzudenken. Nel war mit dem Zug nach Amsterdam gefahren, um ein lukratives Geschäft zusammen mit Eddy in trockene Tücher zu bringen, aber ich konnte
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