Carre, John le
Wir hatten Landkarten, eine
gute Phantasie, gute Kontakte. Mißverstehen Sie mich nicht: Kretzschmar ist
ein Kommunistenfeind. Wir sprechen von alten Geschichten, wie Sie sagten, Herr
Max. Es war eine Frage des Überlebens. Otto hatte die Idee, Kretzschmar tat die
Arbeit. Otto hat die Arbeit nicht erfunden, möchte ich sagen.« Herr
Kretzschmar runzelte die Stirne. »Aber in einer Hinsicht kannte Otto keinen
Spaß. Er hatte eine Schuld zu kassieren. Davon hat er öfter gesprochen. Der
Schuldner war vielleicht der Bursche, der ihn verraten und sein Mädchen
umgebracht hat, vielleicht aber auch die ganze menschliche Rasse. Was weiß ich?
Er mußte einfach aktiv sein. Politisch aktiv. Dazu fuhr er nach Paris, sooft
sich eine Gelegenheit bot. Immer wieder.«
Herr Kretzschmar gestattete sich
eine kurze Denkpause.
»Ich werde ganz offen sein«,
verkündete er.
»Und ich werde Ihr Vertrauen zu
würdigen wissen«, sagte Smiley.
»Ich glaube Ihnen. Sie sind Max.
Der General war Ihr Freund, das weiß ich von Otto. Otto ist einmal mit Ihnen
zusammengekommen, er bewunderte Sie. Schön. Ich will Ihnen gegenüber ganz
offen sein. Vor vielen Jahren ist Otto für mich ins Gefängnis gegangen. Damals
war ich keine Respektsperson. Heute hab ich Geld und kann es mir leisten, eine
zu sein. Wir haben gemeinsam etwas gestohlen, er wurde gefaßt, er hat gelogen
und alles auf sich genommen. Ich wollte ihn dafür entschädigen. Er sagte:
>Was soll der Quatsch? Wenn man Otto Leipzig ist, ist ein Jahr Gefängnis der
reinste Urlaub.< Ich besuchte ihn jede Woche, ich habe die Wärter bestochen,
damit sie ihm anständiges Essen und einmal sogar ein Mädchen besorgten. Als er
herauskam, versuchte ich wieder, ihn mit Geld zu entschädigen. Er hat meine
Angebote abgelehnt. >Eines Tages werd' ich dich um etwas bitten<, sagte
er. >Vielleicht um deine Frau.< >Ich geb sie dir<, sagte ich zu
ihm. >Kein Problem.< Herr Max, ich nehme an, Sie sind Engländer. Sie
werden meine Lage verstehen.«
Smiley sagte, er verstehe.
»Vor zwei Monaten - was weiß ich,
kann länger, kann kürzer zurückliegen - ruft der alte General an. Er brauche
dringend den Otto. >Nicht morgen, sondern heute abend.< Manchmal hatte er
so von Paris aus angerufen, mit Codenamen und all diesem Blödsinn. Der alte
General ist ein Geheimniskrämer. Otto ebenfalls. Wie Kinder, verstehen Sie? Wie
dem auch sei.«
Herr Kretzschmar fuhr sich mit
seiner großen Hand nachsichtig über die Stirn, als wolle er Spinnweben
wegwischen.
»>Hören Sie<, sage ich zu
ihm. >Ich weiß nicht, wo Otto ist. Als ich das letzte Mal von ihm gehört
habe, steckte er wegen irgendwelcher Geschäfte in einer üblen Klemme. Ich muß
ihn zuerst finden, und das kann etwas dauern. Vielleicht morgen, vielleicht in
zehn Tagen.< Der alte Mann sagt zu mir: >Ich schicke Ihnen einen Brief
für ihn. Behüten Sie ihn mit Ihrem Leben.< Am nächsten Tag kommt der Brief,
per Eilboten für Kretzschmar, abgestempelt in London. Drinnen ein zweiter
Umschlag. >Dringend und streng geheim< für Otto. Streng geheim, verstehen
Sie. Der Alte ist verrückt. Sei's drum. Sie kennen ja seine große Handschrift,
energisch wie ein Heeresbefehl.«
Smiley kannte sie.
»Ich finde Otto. Er ist wieder mal
in Geldschwierigkeiten und versteckt sich. Hat nur einen einzigen Anzug, ist
aber gekleidet wie ein Filmstar. Ich gebe ihm den Brief des Alten.«
»Ein dicker Brief«, meinte Smiley
und dachte dabei an die sieben Seiten Fotokopierpapier. An Mikhels schwarze
Maschine, die wie ein alter Tank in der Bibliothek stand.
»Sicher. Ein langer Brief. Er hat
ihn in meiner Gegenwart aufgemacht -«
Herr Kretschmar unterbrach sich,
starrte auf Smiley, und in seinen Zügen schien sich das unwillkürliche
Eingeständnis einer gewissen Hemmung zu spiegeln.
»Ein langer Brief«, wiederholte er.
»Viele Seiten. Otto ist beim Lesen ganz aufgeregt geworden. >Claus<, hat
er gesagt. >Leih mir ein bißchen Geld. Ich muß nach Paris.< Ich leih ihm
ein bißchen Geld, fünfhundert Mark, kein Problem. Danach hab' ich längere Zeit
nicht viel von ihm gesehen. Ein paarmal kommt er hierher und telefoniert. Ich
hör nicht hin. Vor einem Monat ist er dann zu mir gekommen.« Wieder unterbrach
er sich und wieder spürte Smiley sein inneres Zögern. »Ich will ganz offen
sein«, sagte er, als wolle er Smiley nochmals zur Geheimhaltung vergattern.
»Er war, nun, ich würde sagen, aufgeregt.«
»Er wollte Ihren Nachtklub für
seine Zwecke benutzen«, sprang Smiley hilfreich
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