Carre, John le
sagte er später zu
Guillam.
»Rühren Sie sich nicht aus dem
Büro, bis ich anrufe!« rief Guillam. »Sie setzen sich an meinen Schreibtisch
und bedienen diese Telefone. Hören Sie?«
Anstruther hörte, aber inzwischen
war Guillam schon halbwegs die lächerlich zierliche geschwungene Treppe der
Botschaft hinuntergerast, überholte Stenotypistinnen und Wachleute und clevere
junge Männer, die auf dem Weg zur abendlichen Cocktail-Runde waren. Sekunden
später saß er am Steuer des Porsche und jagte den Motor auf Touren, wie ein
Rennfahrer, der er in einem anderen Leben durchaus hätte sein können. Guillam
wohnte in Neuilly, und gewöhnlich machten die Spurts durch den Verkehrsstrom
ihm Spaß, denn sie erinnerten ihn täglich zweimal daran - so sagte er-, daß die
Arbeit in der Botschaft zwar geisttötend langweilig, das Leben draußen aber
immer noch gefahrvoll» kernig und köstlich war. Manchmal stoppte er sogar seine
Fahrzeit. Über die Avenue Charles de Gaulle und bei günstigem Wind an den
Ampeln waren fünfundzwanzig Minuten im Abendverkehr nicht unmöglich. Spät
nachts oder frühmorgens schaffte er es bei leeren Straßen und dank des
CD-Schilds in einer Viertelstunde, aber zur Stoßzeit waren fünfunddreißig
Minuten schon optimal und vierzig die Norm. An jenem Abend legte er, gejagt von
der Vorstellung einer von verblendeten Nihilisten mit der Waffe bedrohten
Marie-Ciaire, die Strecke in glatten achtzehn Minuten zurück.
Polizeiprotokolle, die später auf den Schreibtisch des Botschafters flatterten,
sprachen von drei überfahrenen Rotlichtern und knappen Hundertvierzig in der
Zielgeraden, aber diese Angabe konnte nur auf Schätzung beruhen, denn niemand
hatte die geringste Lust gehabt, mit ihm gleichzuziehen. Guillam selber
erinnert sich kaum an die Fahrt, nur noch an einen Beinahe-Zusammenstoß mit
einem Lastwagen und an einen verrückt gewordenen Radfahrer, der dringend links
hatte abbiegen müssen, als Guillam nur noch hundertfünfzig Meter hinter ihm
war.
Seine Wohnung lag an einer
Privatstraße im dritten Stock. Kurz vor der Zufahrt trat er hart auf die
Bremse, stellte den Motor ab und kam schlitternd am Straßenrand zum Stehen,
dann sauste er bis zur Haustür, so leise, wie sein Tempo es zuließ. Er hatte erwartet,
irgendwo in der Nähe ein parkendes Fluchtauto zu sehen, wahrscheinlich mit
einem Fahrer startbereit am Steuer, doch zu seiner vorübergehenden
Erleichterung war keines in Sicht. Aber im Schlafzimmer brannte Licht, und
jetzt stellte er sich Marie-Ciaire geknebelt und ans Bett gefesselt vor und
daneben die Banditen, die auf sein Eintreffen warteten. Sollten sie es auf
Guillam abgesehen haben, so war er gesonnen, sie nicht zu enttäuschen. Er war
unbewaffnet gekommen, notgedrungen. Die Housekeepers des Circus hegten einen
heiligen Abscheu vor Schußwaffen, und sein verbotswidriger Revolver lag in der
Nachttischlade, wo die Banditen ihn inzwischen zweifellos gefunden hatten. Er
flitzte lautlos die drei Treppen hinauf, und vor der Wohnungstür warf er sein
Jackett ab und ließ es neben sich auf den Boden fallen. Er hatte den Schlüssel
bereits in der Hand, und jetzt schob er ihn so behutsam wie möglich ins Schloß,
dann drückte er auf den Klingelknopf und rief durch den Briefschlitz »Facteur«
- Postbote - und dann »Exprés«. Mit der Hand am Schlüssel wartete er,
bis er Schritte herankommen hörte, die, wie er sogleich wußte, nicht von
Marie-Claires Füßen stammten. Die Schritte waren langsam, ja, gewichtiger, und
für Guillams Ohr längst nicht verstohlen genug. Und sie kamen vom Schlafzimmer
her. Danach tat er eine Menge Dinge gleichzeitig. Das öffnen der Tür von innen
erforderte, wie er wußte, zwei genau definierte Handgriffe: zuerst die Kette
aushängen, dann den Schnapper zurückziehen. Geduckt wartete Guillam, bis er die
Kette gleiten hörte, dann setzte er seine Überraschungswaffe ein: Er drehte
seinen Schlüssel, warf sich mit dem ganzen Gewicht gegen die Tür und genoß im
nächsten Moment den zutiefst befriedigenden Anblick einer fülligen männlichen
Gestalt, die rücklings gegen den Dielenspiegel flog und ihn aus der Halterung
riß, während Guillam den Arm des Mannes packte und mit einem gemeinen Griff
fast bis zum Brechen verdrehte - nur um in die bestürzten Züge seines
lebenslangen Freundes und Mentors George Smiley zu blicken, die ihn hilflos
anstarrten.
Was auf diesen Zusammenprall
folgte, wird von Guillam ein wenig nebulos geschildert; er hatte
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