Carre, John le
natürlich
keine Ahnung von Smileys Kommen gehabt, und solange sie in der Wohnung waren,
sagte Smiley - vielleicht aus Furcht vor Mikrophonen — wenig Erhellendes.
Marie-Ciaire war im Schlafzimmer, aber weder gefesselt noch geknebelt, und auf
dem Bett lag, von Marie-Ciaire dorthin beordert, die Ostrakowa, noch immer in
ihrem alten schwarzen Kleid, und Marie-Ciaire verwöhnte sie mit allem, was das
Haus zu bieten hatte - Hühnerbrüstchen in Aspik, Pfefferminztee, sämtlichen
Schongerichten, die sie emsig für den wundervollen, doch leider nicht
absehbaren Tag gehortet hatte, an dem Guillam krankheitshalber ihrer Betreuung
bedürfte. Wie Guillam feststellte, mußte die Ostrakowa (deren Namen er allerdings
noch nicht kannte) gewaltige Prügel bezogen haben.
Graue Druckstellen breiteten sich
um Augen und Mund aus, und ihre Finger waren schwer lädiert, offenbar hatte sie
versucht, sich zu wehren. Nachdem Smiley den Hausherrn einen kurzen Blick auf
die Szene hatte werfen lassen - die Dame in der Obhut der besorgten Kind-Frau
-, führte er Guillam in dessen eigenen Salon und erteilte ihm mit der Autorität
des ehemaligen Chefs, der er ja war, in aller Eile seine Anweisungen. Erst
jetzt erhielt Guillams hastige Heimfahrt doch noch ihre nachträgliche Rechtfertigung.
Die Ostrakowa - Smiley sagte nur »unser Gast« -müsse noch heute Abend Paris
verlassen, sagte er. Das sichere Haus der Residentur in der Nähe von Orleans -
er sagte »unser Landsitz« - sei nicht sicher genug, sie müsse an einen Ort gebracht
werden, wo sie Pflege und Schutz fände. Guillam entsann sich eines
französischen Ehepaars in Arras. Eines pensionierten Agenten und dessen Frau,
die schon früher den einen oder anderen Zugvogel des Circus beherbergt hatten.
Man kam überein, daß er in Arras anrufe, aber nicht von der Wohnung aus: Smiley
schickte ihn zu einer öffentlichen Telefonzelle. Als er die notwendigen
Verabredungen getroffen hatte und wieder heimkam, hatte Smiley bereits ein
kurzes Fernschreiben auf einem Bogen von Marie-Claires abscheulichem
Briefpapier mit den grasenden Häschen entworfen, das Guillam unverzüglich an
den Circus absenden sollte. »Persönlich an Saul Enderby, nur vom Empfänger zu
entschlüsseln.« Der Text, den Guillam auf Smileys Geheiß lesen mußte (aber
nicht laut), bat Enderby »betreffs eines zweiten, Ihnen inzwischen sicherlich
zur Kenntnis gelangten Todesfalls« höflich um eine Zusammenkunft bei Ben in
achtundvierzig Stunden. Guillam hatte keine Ahnung, wer Ben war.
»Und, Peter.«
»Ja, George«, sagte Guillam, noch
immer ganz benommen.
»Ich nehme an, es gibt eine
offiziellle Telefonliste der in Paris akkreditierten Diplomaten. Haben Sie
zufällig so ein Ding in der Wohnung?«
Guillam hatte eines. Marie-Ciaire
konnte ohne dieses Verzeichnis nicht leben. Sie hatte überhaupt kein
Namensgedächtnis, daher das Heft neben dem Telefon im Schlafzimmer, damit sie
es konsultieren konnte, sooft sie von einem Mitglied ausländischer Botschaften
telefonisch zu einem Drink, einem Dinner oder im schlimmsten Fall anläßlich der
zahlreichen Nationalfeiertage eingeladen wurden. Guillam holte es und lugte
Smiley über die Schulter. »Kirow« las er - aber auch diesmal nicht laut -, als
er Smileys Daumennagel folgte »Kirow, Oleg, Zweiter Sekretär (Handel),
unverheiratet.« Danach eine Adresse im 7. Arrondissement, dem Getto der
Sowjetbotschaft.
»Schon mal getroffen?« fragte
Smiley.
Guillam schüttelte den Kopf. »Vor
ein paar Jahren haben wir ihn uns angesehen. Er ist tabu«, antwortete er.
»Wann wurde diese Liste
zusammengestellt?« fragte Smiley. Die Antwort stand auf dem Deckel. Dezember
des vergangenen Jahres.
Smiley sagte: »Also, wenn Sie in
Ihr Büro kommen - «
»Schaue ich in der Kartei nach«,
versprach Guillam.
»Und dann noch das hier«,
sagte Smiley scharf und reichte Guillam eine einfache Kuriertasche, in der
sich, wie Guillam später feststellte, mehrere Mikrokassetten sowie ein dicker
brauner Briefumschlag befanden.
»Mit der ersten Kurierpost morgen
früh, bitte«, sagte Smiley. »Gleiche Einstufung und Adresse wie das Fernschreiben.«
Guillam ließ Smiley beim weiteren
Studium der Telefonliste und die beiden Frauen in der Abgeschiedenheit des
Schlafzimmers zurück und raste wieder zur Botschaft, wo er den verwirrten Anstruther
von seiner Telefonwache erlöste und ihm die Kuriertasche zusammen mit Smileys
Instruktionen ans Herz legte. Die Spannung in Smiley hatte Guillam
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