Carre, John le
in Strömen
regnen, Onkel Antons Mackintosh und Hut würden, wenn er am Haupttor ankam, kaum
naß sein, und seine Schuhe waren nie schmutzig. Nur vor drei Wochen, oder war's
vor drei Jahren, als gewaltige Massen von Schnee gefallen waren und einen
zusätzlichen Wall von einem Meter Höhe um das tote Schloß gezogen hatten, sah
Onkel Anton annähernd wie ein echter Mensch aus, der aus echten Elementen kam:
Wie er so in seinen dicken Stiefeln, seinem Anorak und seiner Pelzkappe an den
Tannen entlang den Pfad heraufstapfte, trat er geradewegs aus Erinnerungen,
von denen sie nie sprechen durfte. Und als er sie umarmte, sie »mein
Töchterchen« nannte, seine großen Handschuhe auf Felicitas-Felicitas' glänzend
polierten Tisch knallte, da spürte sie ein Gefühl der Verwandtschaft und eine
Hoffnung in sich hochsteigen, so übermächtig, daß sie sich noch Tage später
dabei ertappte, wie sie in der Erinnerung daran lächelte.
»Er war so warm«, vertraute sie
Schwester Béatitude in ihrem bißchen Französisch an. »Er hat mich im Arm
gehalten, wie einen Freund! Warum macht der Schnee ihn so zärtlich?«
Doch heute sah man nur Matsch und
Nebel und große, weiche Flocken, die auf dem gelben Kies nicht liegenbleiben
würden. Er kommt in einem Wagen, Sascha - hatte Schwester Beatitude einmal zu
ihr gesagt -, mit einer Frau , Sascha. Beatitude hatte sie gesehen.
Zweimal. Sie natürlich als gute Schweizerin beobachtet. Sie hatten Fahrräder
auf das Autodach geschnallt, auf den Kopf gestellt, und die Frau saß am Steuer,
eine große, starke Frau, ein bißchen wie Mutter Felicitas, bloß nicht so
christlich, mit Haaren, die rot genug waren, um einen Stier zu reizen. Wenn sie
am Dorfrand ankamen, parkten sie den Wagen hinter der Scheune von Andreas
Gertsch, und Onkel Anton nahm sein Fahrrad herunter und fuhr zum Pförtnerhaus.
Doch die Frau blieb im Wagen, rauchte und las die Schweizer Illustrierte, manchmal
schimpfte sie in den Rückspiegel, und ihr Rad blieb, während sie las, immer auf
dem Dach, wie eine Sau, die auf dem Rücken liegt! Und stell dir vor! Onkel
Antons Fahrrad war gesetzeswidrig !Das Rad - als gute
Schweizerin hatte Schwester Beatitude hierauf ganz selbstverständlich ihr
Augenmerk gerichtet -, Onkel Antons Rad hatte kein Schild, keine Zulassung, er
machte sich strafbar, wie seine Frau, aber die war wahrscheinlich zu dick, um
zu radeln!
Doch Alexandra ließen
gesetzeswidrige Fahrräder kalt. Was sie interessierte, war das Auto. Welche
Marke? Welche Farbe? Und vor allem, woher kam es? Aus Moskau? Aus Paris? Woher?
Doch Schwester Beatitude war vom Lande und schlichten Gemüts, für sie war in
der Welt hinter den Bergen eine Stadt wie die andere. Was waren denn für
Buchstaben auf dem Nummernschild, um Himmels willen, du Dummkopf, schrie
Alexandra. Schwester Beatitude hatte keine Ahnung. Schwester Béatitude
schüttelte den Kopf, wie das tumbe Milchmädchen, das sie war. Von Fahrrädern
und Kühen verstand sie etwas. Autos gingen über ihren Horizont.
Alexandra beobachtete, wie
Grigoriew näherkam, sie wartete auf den Augenblick, wo er den Kopf nach vorne
über die Lenkstange neigen, sein ausladendes Hinterteil lüpfen und ein Beinchen
über den Sattel schwingen würde, als klettere er von einer Frau herunter. Sie
sah, daß die kurze Fahrt sein Gesicht gerötet hatte, sie verfolgte, wie er die
Mappe aus dem Gepäckträger über dem Hinterrad zog. Sie lief zur Tür und
versuchte ihn zu küssen, zuerst auf die Wange und dann auf die Lippen, denn sie
hatte sich vorgenommen, ihre Zunge als Willkommensgruß in seinen Mund zu
stecken, doch er schusselte mit gesenktem Kopf an ihr vorbei, als sei er schon
wieder auf dem Rückweg zu seiner Frau. »Grüß dich, Alexandra Borisowna«, hörte
sie ihn aufgeregt flüstern. Er sprach ihren Vaternamen aus, als sei er ein
Staatsgeheimnis.
»Grüß dich, Onkel Anton«,
antwortete sie, als Schwester Béatitude sie grob am Arm packte und flüsterte,
sie solle sich benehmen, denn sonst . . .
Das Arbeitszimmer von Mutter
Felicitas war bescheiden und prächtig zugleich. Es war klein und karg und sehr
hygienisch, die Nonnen schrubbten und polierten es täglich, so daß es wie in einem
Schwimmbad roch. Doch ihre kleinen russischen Dinge glänzten wie Geschmeide.
Sie besaß Ikonen und reich gerahmte Sepiafotografien von Prinzessinnen, die sie
geliebt, und Bischöfen, denen sie gedient hatte, und an ihrem Namenstag - oder
war es ihr Geburtstag oder der des Bischofs? - brachte sie das
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