Carre, John le
erklärte sie und dachte jetzt an
Ostern, an Felicitas und ihren Gang rund um das Schloß beim Eierpecken. Bitte.
Das ist mein Blut, Onkel Anton. Ich hab' es für dich vergossen. Doch die
andere Hand hielt sie auf den Mund gepreßt, und alles, was sie mit ihrer
Sprechstimme zustande brachte, war ein Schluchzer. Schließlich setzte sie sich
stirnrunzelnd wieder hin, die im Schoß verschränkten Hände bluteten nicht
eigentlich, aber sie waren zumindest naß von ihrem Speichel.
Onkel Anton hielt in der Rechten
das Notizbuch und in der Linken den Stift. Er war der einzige Linkshänder, den
sie kannte, und wenn sie ihm beim Schreiben zusah, fragte sie sich manchmal,
ob er nicht ein Spiegelbild war und sein echtes Ich im Wagen hinter der Scheune
von Andreas Gertsch saß. Sie dachte, daß man auf diese Weise glänzend mit dem
fertig werden könnte, was Doktor Rüedli eine gespaltene Natur nannte -
man schickte eine Hälfte auf einem Fahrrad weg, während die andere Hälfte bei
der rothaarigen Frau im Wagen blieb. Felicitas-Felicitas, wenn du mir dein
pop-pop Moped leihst, dann setz ich meinen schlechten Teil darauf und schick
ihn weg.
Plötzlich hörte sie sich sprechen.
Es war ein herrlicher Klang. Ein Klang, den sie an den kräftigen, gesunden Stimmen
um sich herum liebte: Politiker im Rundfunk, Ärzte, wenn sie sich über ihr Bett
beugten.
»Onkel Anton, wo kommst du bitte
her?« hörte sie sich mit gemessener Neugierde fragen. »Onkel Anton, paß bitte
genau auf, während ich jetzt eine Aussage mache. Bevor du mir nicht sagst, wer
du bist und ob du wirklich mein Onkel bist, und was für ein Nummernschild dein
großer, schwarzer Wagen hat, beantworte ich keine einzige deiner Fragen mehr.
Tut mir leid, aber es geht nicht anders. Ich will auch wissen, ob die Rothaarige
deine Frau ist oder Felicitas-Felicitas mit gefärbtem Haar, wie Schwester
Béatitude immer sagt.«
Doch Alexandras Geist sprach zu oft
Wörter, die ihr Mund nicht weitergab, sodaß die Wörter in ihr herumflogen,
unfreiwillig von ihr bewacht, so unfreiwillig wie Onkel Anton vorgab, sie
selbst zu bewachen.
»Wer gibt dir das Geld, damit du
Felicitas-Felicitas für meine Inhaftierung bezahlen kannst? Wer bezahlt Dr.
Rüedi? Wer bestimmt, welche Fragen jede Woche in dein Notizbuch kommen? An wen
gibst du die Antworten weiter, die du so gewissenhaft niederschreibst?«
Doch wieder flogen die Wörter in
ihr herum wie die Vögel in Krankos Gewächshaus während der Obstzeit, und es gab
nichts, womit Alexandra sie bewegen konnte, herauszukommen.
»Also?« sagte Onkel Anton zum
drittenmal, mit dem verwaschenen Lächeln, das Dr. Rüedi aufsetzte, wenn er ihr
eine Spritze gab. »Würdest du mir zuerst einmal deinen vollen Namen nennen,
Alexandra?«
Alexandra hielt drei Finger in die
Höhe und zählte wie ein braves Kind an ihnen ab. »Alexandra Borisowna
Ostrakowa«, sagte sie mit kindlicher Stimme.
»Gut. Und wie hast du dich diese
Woche gefühlt, Sascha?« Alexandra lächelte höflich.
»Danke, Onkel Anton. Ich habe mich
diese Woche viel besser gefühlt. Dr. Rüedi sagt, daß ich jetzt überm Berg bin.«
»Hast du irgendwie - per Post,
Telefon oder mündlich - eine Botschaft von außerhalb bekommen?«
Alexandra hatte nun beschlossen,
eine Heilige zu sein. Sie faltete die Hände auf dem Schoß und legte den Kopf
auf die Seite und stellte sich vor, sie sei eine von Felicitas-Felicitas'
russisch-orthodoxen Heiligen, die hinter dem Schreibtisch an der Wand hingen.
Vera, der Glaube, Liubow, die Liebe; Sofia, Olga, Irina oder Xenia; alle die
Namen, die Felicitas sie an jenem Abend lehrte, als sie ihr anvertraute, daß
ihr richtiger Name >Hoffnung< sei - während Alexandras Name Alexandra
oder Sascha war und nicht, aber schon ganz und gar nicht Tatjana, merk dir das.
Alexandra lächelte Onkel Anton an, und sie wußte, daß ihr Lächeln sublim war
und tolerant und weise; und daß sie Gottes Stimme hörte und nicht die Onkel
Antons; und Onkel Anton wußte das auch, denn er gab einen langen Seufzer von
sich, legte das Notizbuch beiseite und drückte auf die Klingel, um Mutter
Felicitas zur Geldzeremonie herbeizurufen.
Mutter Felicitas kam hastig herein,
und Alexandra vermutete daß sie nicht weit von der Türe entfernt auf der
anderen Seite gewartet hatte. Sie hielt die Rechnung fertig in der Hand. Onkel
Anton prüfte sie stirnrunzelnd wie immer, zählte dann die Scheine, blaue und
orangefarbene, einzeln auf den Tisch, so daß jeder einen Augenblick lang
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